Grünen-Co-Chef Omid Nouripour: "Ich habe geweint, als Winnetou starb"
Berlin - AZ-Interview mit Omid Nouripour: Der 47-Jährige ist seit Februar 2022 gemeinsam mit Ricarda Lang Bundesvorsitzender der Grünen.
AZ: Herr Nouripour, wie sehr haben Sie sich in letzter Zeit über Ihren Parteifreund Robert Habeck geärgert?
OMID NOURIPOUR: Warum sollte ich das?
Vielleicht wegen der verpatzten Gasumlage, dem schwer zu erklärenden Atomkompromiss oder den wirren Insolvenz-Aussagen des Wirtschafts- und Energieministers im TV.
Der Reihe nach. Was ist an seinen Insolvenz-Aussagen denn falsch?
Verstehen Sie denn den Zorn etwa aus dem Bäckerhandwerk wirklich nicht, wenn Habeck empfiehlt, doch einfach mal mit der Produktion aufzuhören, dass das ja aber noch keine Insolvenz sei?
Die Nöte gerade der Bäcker sind derzeit groß. Und es braucht Abhilfe. Das hat aber mit Robert Habecks Äußerungen nichts zu tun. Er hat nichts empfohlen, sondern auf den Unterschied zwischen Insolvenzen und Betriebsaufgaben hingewiesen. Letztere sind im Winter wahrscheinlicher, auch damit hatte er recht. Ähnlich wie führende Ökonomen in unserem Land bin ich deshalb irritiert, mit welcher Lautstärke da jetzt manche Leute draufhauen, die diesen Unterschied eigentlich kennen müssten. Uns allen sind die gewaltigen Herausforderungen und Sorgen der Menschen bewusst, natürlich auch der Unternehmerinnen und Unternehmer. Robert Habeck arbeitet unter Hochdruck an Lösungen - und hat vergangene Woche im Bundestag wichtige Maßnahmen vorgestellt.
Die Grünen haben in Sachen Rüstung eine erstaunliche Wandlung vollzogen. Einst waren sie eng mit der Friedensbewegung verwoben. Heute kommen einige der Stimmen, die am lautesten möglichst umfangreiche Waffenlieferungen an die Ukraine fordern, aus Ihrer Partei. Tut Deutschland jetzt genug für die Ukraine?
Wir rücken von unseren tiefen Überzeugungen als Friedenspartei nicht ab. Auch, wenn militärische Mittel, wie im Falle der Ukraine, unausweichlich sein können, stehen wir für den Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen. Der Schutz der Menschen steht für uns im Mittelpunkt. Und die Ukraine hat gemäß UN-Charta ein Recht auf Selbstverteidigung. Darin unterstützen wir Kiew, nach Kräften und aus voller Überzeugung. Alle in der Regierung wissen indes, dass noch mehr möglich wäre. Da sollte nicht nur im Ringtausch, sondern wo möglich auch direkt aus den Beständen von Bundeswehr und Industrie geliefert werden.
Die Ukraine wünscht sich den Kampfpanzer Leopard 2, den Kanzler Olaf Scholz ihr nicht geben will. Wie sehen Sie das?
Wir müssen uns im Verbund mit unseren Alliierten bewegen. Das ist wichtiger als die Debatte um einzelne Waffensysteme. Und wir müssen den Bedarf der Ukraine nach Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen. Gerade jetzt, bevor der Winter kommt, müssen wir die Ukraine dabei unterstützen, in diesem Jahr noch so viel wie möglich von ihrem eigenen Land zu befreien. Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen auch für unsere Demokratie und Art zu leben, unsere Freiheit. Davon bin ich überzeugt. Und es bewegt mich ganz persönlich.
Inwiefern?
Ich bin im Iran aufgewachsen, habe an der Schule ab der sechsten Klasse Militärunterricht gehabt. Ich glaube, ich könnte heute noch eine Kalaschnikow auseinanderbauen. Dieser Militarismus hat mich abgeschreckt, vor allem aber hat mich die Unfreiheit zutiefst geprägt. Als ich einmal mit meiner Oma auf der Straße war, mussten wir mitansehen, wie eine Frau öffentlich ausgepeitscht wurde, weil sie im heißen Teheraner Sommer "zu dünne" Strümpfe trug. Das hat mich politisiert. Und dieses emotionale, unbedingte Verständnis der Bedeutung von Freiheit treibt mich bis heute an.
Heute wird viel über Fragen der Identitätspolitik diskutiert, auch in Ihrer Partei. Viele Menschen reagieren da gereizt, etwa wenn es darum geht, ob Winnetou-Filme noch gezeigt werden dürfen oder der Sommerhit "Layla" verboten werden soll. Zu Recht?
Im Kern geht es bei den meisten Debatten doch nicht darum, dass irgendwer irgendwem das eine oder andere verbietet, sondern um die Frage, was so schlimm daran ist, zu versuchen, andere nicht zu verletzen. Ich finde: Nichts ist schlimm daran. Muss es im Gegenzug humorfrei sein und steif? Auch nicht. Ich habe übrigens Karl May gelesen und muss zugeben, dass ich am Ende geweint habe, als Winnetou starb. Da war ich 14 Jahre alt.
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