Grüne schießen plötzlich gegen das Cannabis-Gesetz: "Die machen uns wahnsinnig"

In knapp zwei Wochen soll Cannabis in Deutschland erlaubt sein. Dafür muss der Bundesrat dem Gesetz noch zustimmen. Die Stimmen der Grünen würden genügen. Doch die Landesverbände sind sich ihrer Entscheidung noch nicht sicher.
von  Alexander Spöri
Kommt die Cannabis-Legalisierung wirklich schon im April? Das entscheidet am Freitag der Bundesrat in Berlin.
Kommt die Cannabis-Legalisierung wirklich schon im April? Das entscheidet am Freitag der Bundesrat in Berlin. © IMAGO / SuperStock

München – Noch hofft die Ampelregierung, dass das Cannabisgesetz wie geplant am Freitag den Bundesrat passiert, damit es am 1. April wie geplant in Kraft treten kann. Doch bereits jetzt ist die Ernüchterung unter Gras-Liebhabern groß. Denn die Freigabe der Droge steht auf der Kippe.

Nur fünf Landesregierungen sprechen sich bislang eindeutig für eine Freigabe der Droge aus. Im Bundesrat fehlt damit die notwendige Mehrheit von 35 Stimmen, damit das Gesetz vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden kann und nicht noch in einem weiteren Gremium behandelt werden muss. Die Politiker sind sich uneins, deshalb ist die Anrufung des Vermittlungsausschuss nicht ausgeschlossen.

Keine Legalisierung zum 1. April? Gesetz könnte im Vermittlungsausschuss landen

Gerechnet haben damit nur wenige. Denn das Gesetz ist per se nicht zustimmungspflichtig. Trotzdem können die 69 Bundesratsmitglieder mit absoluter Mehrheit den Vermittlungsausschuss anrufen. Dann müsste sich das Gremium nochmals ausführlich mit den Plänen der Ampelregierung beschäftigen und zwischen Befürwortern und Kritikern schlichten.

Eigentlich stammt die Idee, das vermittelnde Gremium einzuschalten von Vertretern der Union, die eine Freigabe von Gras und Hasch mit allen Mitteln verhindern wollen. Ihre Blockade erschwert die Abstimmung im Bundesrat. Denn Landesregierungen müssen dort einstimmig votieren – auch, wenn die Koalitionäre unterschiedliche Sichtweisen haben. Sonst zählen die abgegebenen Stimmen des Landes nicht.

Grünen bringen Spannung in die Abstimmung: Viele Landesverbände stellen sich nicht klar hinter das Gesetz

Besonders brisant machen die Abstimmung jedoch die Grünen: Sie regieren in zehn Landesregierungen in Deutschland mit. Wenn die Politiker der Partei, deren Markenkern seit Jahrzehnten die Legalisierung von Cannabis beinhaltet, konsequent gegen den Vermittlungsausschuss abstimmen oder sich bei der Wahl enthalten, dann stände der Cannabis-Legalisierung nichts mehr im Wege.

Doch ausgerechnet bei den Grünen-Politikern ist größtenteils unklar, wie sie sich zum Cannabisgesetz im Bundesrat überhaupt positionieren. Das ist das Ergebnis einer Anfrage der AZ an alle Grünen-Landesverbände, in denen die Partei mitregiert. Nur Thüringen, Sachsen (durch Entkopplung der Amnestie zum 1. Oktober) und Schleswig-Holstein – also drei von zehn Verbänden – sprechen sich eindeutig gegen die Anrufung des Vermittlungsausschusses aus.

Sechs sind sich hingegen noch unsicher, wie sie am Freitag abstimmen werden. Das Gesetz wolle man zwar umsetzen, allerdings befände man sich noch in der Abstimmung, um den "richtigen Weg", heißt es von mehreren Landesparteien. Ob für sie auch die Anrufung des Vermittlungsausschusses in Frage kommt, lassen sie in ihrer Antwort an die AZ offen.

Karl Lauterbach: Cannabisgesetz könnte im Vermittlungsausschuss "sterben"

Zur unklaren Haltung der Grünen im Bundesrat äußerte sich am Samstag auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): "Jedes von SPD und Grünen mitregierte Land muss wissen, dass das Cannabisgesetz am nächsten Freitag stirbt, wenn man den Vermittlungsausschuss anruft", schrieb der Abgeordnete auf der Plattform X. Die von der Union geführten Länder würden sich "bedanken" und mit "Verfahrenstricks das Gesetz im Vermittlungsausschuss beerdigen".

Begraben will das Gesetz unter anderem Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Sein Ziel ist es, dass das Cannabisgesetz "niemals wieder" aus dem Vermittlungsausschuss herauskommt.

"Riesige Wackelpartie" und "blöder Politikersprech": Cannabis-Aktivist empört sich über Grünen-Landesverbände

Das ernüchtert Cannabis-Aktivisten wie Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband. Er ist Mitglied der Grünen und blickt mit einem gemischten Gefühl auf die Abstimmung: "Das ist eine riesige Wackelpartie. Es ist ganz knapp und es steht auf der Kippe", sagt der Cannabis-Aktivist zur AZ. Auch er würde gerne erfahren, wie sich die Grünen in den Ländern positionieren, "die machen uns aber gerade wahnsinnig mit blödem Politiker-Sprech", erzählt er.

Die komplette Diskussion sei ein "erbärmlicher Eiertanz". "Jetzt haben die endlich den Elfmeter ohne Torwart vor den Füßen und könnten den Schuss trotz Widerständen einfach verwandeln. Das tun sie aber nicht." Wurth macht das wütend. So sehr sogar, dass er mit dem Parteiaustritt droht: "Ich bin seit 32 Jahren Mitglied und ich werde austreten, wenn es zur Anrufung des Vermittlungsausschusses kommt."

Kritik vom Deutschen Richterbund: Zu viele Strafverfahren müssen händisch geprüft werden

Warum die Kritiker das Gesetz bemängeln? Laut der Union schütze das Konzept Kinder- und Jugendliche nicht ausreichend. Außerdem warnt der Deutsche Richterbund vor dem Vorhaben. Laut dem Berufsverband müsste die Justiz mehr als 100.000 Straftaten – 29.000 alleine in Bayern – überprüfen, wenn der Besitz von Cannabis nicht mehr unter Strafe stände – und das händisch durch Sichten der Verfahrensakten. Schwierig sei die Lage bei Mehrfachtätern, die auch wegen anderer Delikte verurteilt wurden. Möglicherweise müssten bereits Verurteilte durch die Staatskasse entschädigt werden.

Wurth findet das nicht schlimm. Er denkt, dass der Staat genauso auch durch die vielen Strafverfahren finanziell belastet wird. Durch ein Hinauszögern der Legalisierung würden sogar Tausende neue Strafverfahren eröffnet werden. Um das zu umgehen, hofft der Cannabis-Aktivist, dass die Grünen-Landesverbände verstehen, wie viel im Bundesrat auf dem Spiel steht: Die "Legalize-Partei" sollte zu ihren Grundsätzen stehen. Sonst verspiele man das Vertrauen.

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