Griesgram McCain und "Der da" Obama

WASHINGTON - In den USA nähert sich der Wahlkampf seinem Höhepunkt: Beim zweiten Fernsehduell zeigt sich der Republikaner McCain als verbitterter alter Mann – und verpatzt seine Chance gegen den aufstrebenden Demokraten.
Es war die vielleicht letzte Chance des alten Kriegers – und er hat sie vertan. John McCain hätte einen Sieg im TV-Duell gegen Barack Obama dringend gebraucht. Doch es gewann der junge Demokrat. Damit sieht es weniger als vier Wochen vor der Wahl immer mehr so aus, als würde die taumelnde Supermacht USA künftig von dem 47-jährigen schwarzen Hoffnungsträger regiert.
„Historisch“, „alles entscheidend“, „auf Leben und Tod“ – so hatte vor allem McCains Lager die Debatte im Vorfeld eingestuft. Denn Obama führt mittlerweile in den Umfragen stabil mit rund acht Prozentpunkten Vorsprung. Und gerade bei der alles beherrschenden Finanzkrise wird dem Newcomer mehr Kompetenz zugetraut als dem jahrzehntelangen Vertreter des Establishments. McCain hätte jetzt den Umschwung schaffen müssen – sonst wird es sehr eng.
Entsprechend angeschlagen und nervös wirkte der 72-jährige Polit-Veteran. Wenn er gerade nicht dran war, sah man ihn mitunter mit vorgestreckten Kopf auf der Bühne auf und ab tigern. Einen verunglückten Witz über Haartransplantationen quittierte das Publikum – 80 handverlesene, unentschlossene Wähler, die auch die Fragen stellen durften – mit kühlem Schweigen.
Die prägendste Szene aber war, als McCain mit dem Finger auf Obama zeigte und ihn, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, als „Der da“ bezeichnete. „Da wirkte er nicht wie ein tapferer Veteran, sondern wie ein verbitterter, griesgrämiger alter Mann“, schreibt die „Washington Post“. Und die teils aggressiven, wenn auch nicht auf den persönlichen Charakter gezielten Angriffe gingen laut den Analysten ins Leere: Angesichts der Krise, die auch die Debatte klar dominierte, wollen die US-Bürger lieber Lösungen als Schlammschlacht. Fertige Konzepte hatte zwar auch Obama nicht parat, aber er beschrieb die Krise geschickt als natürliches Ergebnis der republikanischen Wirtschaftspolitik.
Der Demokrat wirkte zwar auch nicht hundertprozentig inspirierend (ein Kommentator sagte, er sei nicht ganz so sehr ein nasses Laken gewesen wie Moderator Tom Brokaw, aber fast). Aber er war kühl, konzentriert und konkret. Und er war gut vorbereitet. Auf McCains Standard-Angriff, Obama sei zu jung, um Dinge zu verstehen, konterte jener diesmal mit feinem Lächeln: „Stimmt. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum man in ein Land einmarschiert ist, das mit dem 11. September nichts zu tun hatte.“
Das Argument des ahnungslosen Anfängers gegen Obama zieht ohnehin nicht mehr so richtig, seitdem McCain die wirklich ahnungslose Sarah Palin als Vize nominiert hat. Die versucht nun, anders zu punkten: Sie gab gestern bekannt, dass sie eine Cousine zehnten Grades der verstorbenen Prinzessin Diana ist.
Das Fazit von CNN: „Eine verpasste Gelegenheit – für John McCain.“ Zwar hat der alte Recke öfters bewiesen, dass man ihn nicht zu früh totsagen sollte. Aber beim Duell ermittelte eine CNN-Umfrage Obama mit 24 Prozentpunkten Vorsprung als Sieger. Der Republikaner William Bennet: „McCain war gut. Aber nicht gut genug.“
Anja Timmermann