Greenpeace-Studie zeigt: Deutschland baut zu viele unwirtschaftliche Straßen

Eine Greenpeace-Studie hat ergeben, dass viele Autobahnprojekte unwirtschaftlich sind. Warum sie dennoch bewilligt werden - und was die Politik dazu sagt.
Maximilian Neumair |
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Lkw und Pkw fahren auf der Autobahn A8 in Richtung München. Der Ausbau der Autobahn ist laut Greenpeace unwirtschaftlich.
Lkw und Pkw fahren auf der Autobahn A8 in Richtung München. Der Ausbau der Autobahn ist laut Greenpeace unwirtschaftlich. © picture alliance/dpa

Berlin - Die Bundesrepublik hat den größten Kfz-Bestand in der Europäischen Union (60,7 Millionen Fahrzeuge) und nach Spanien (knapp 16.000 Kilometer) das zweitlängste Autobahnnetz (etwa 13.000 Kilometer). Deutschland ist Autoland. Der Staat nimmt derzeit Geld für 1045 Autobahnen und Bundesstraßen in die Hand. Doch der Etatentwurf für den Haushalt 2025 sieht Kürzungen für die Autobahn vor, wie aus einem Bericht der "FAZ" hervorgeht. Das will Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) nicht zulassen: Die Autobahn GmbH soll für 2025 die Investitionsmittel "in voller Höhe" bekommen.

Das kritisiert Greenpeace: Denn eine kürzlich von den Naturschützern und der europäischen Verkehrsorganisation Transport and Environment veröffentlichte Studie ergibt, dass 64 Prozent der Straßenprojekte unwirtschaftlich sind. "Überall soll gespart werden, der Klimaschutz im Verkehr kommt nicht voran, aber der Verkehrsminister will mit zig Milliarden weitere, unwirtschaftliche Autobahnen bauen - das ist nicht zu vermitteln", sagt Mitstudienautorin und Mobilitätsexpertin bei Greenpeace, Lena Donat. Benedikt Heyl von Transport and Environment ergänzt: "Das deutsche Autobahnnetz ist fertig." Die Studienautoren bemängeln, dass das Bundesverkehrsministerium (BMDV) Projekte anhand veralteter Daten bewilligt. Die letzte Nutzen-Kosten-Analyse liegt acht Jahre zurück. 2021 hätte die nächste erscheinen sollen, stattdessen kommt sie laut BMDV erst diesen Sommer.

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CO2-Ausstoß wird in den Berechnungen des Verkehrsministeriums laut Greenpeace unterschätzt

Aber was macht eine Autobahn überhaupt wirtschaftlich? Das bemisst sich an einer Nutzen-Kosten-Analyse. Die soll darlegen, inwiefern der durch den Bau zu erwartende Nutzen für die Allgemeinheit höher liegt als die Kosten. Ist das Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) bei einem Projekt höher als eins, gilt es als nützlich. Greenpeace kritisiert dieses Vorgehen in zweierlei Hinsicht: zum einen, welche Faktoren wie gewichtet werden. Umweltbelange würden "nur unzulänglich" erfasst, also der durch Aus- und Neubau zusätzliche Verkehr und CO2-Ausstoß würde systematisch unterschätzt. Überbewertet werde hingegen der Zeitgewinn: Wenige Sekunden je Pkw-Nutzer rechnet das BMDV zusammen, um eine große Zeitersparnis zu suggerieren. 90 Prozent aller in den Nutzen-Kosten-Analysen veranschlagten Nutzen sind Reisezeitgewinne. Verringerte CO2-Emissionen machen hingegen nur zwei Prozent der Nutzensummen aus.

Zum anderen kritisiert Greenpeace den niedrigen Schwellenwert von 1. "Liegt der errechnete Nutzen auch nur minimal über den Kosten, zahlt der Bund Milliardenbeträge für einzelne Straßenprojekte", heißt es in der Studie. So auch der Fall beim Ausbau der A8 zwischen München und Salzburg auf sechs bis acht Fahrstreifen. Dieser kostet 3,7 Milliarden Euro und weist laut BMDV gerade einmal ein NKV von 1,2 aus. Nach Berechnungen von Greenpeace, die die gestiegenen Baukosten und aktuellen CO2-Kosten miteinbeziehen, liegt der NKV aber nur bei 0,9. Trotzdem hat das Projekt die höchste Dringlichkeitsstufe.

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Was Mitglieder des Bundesverkehrsausschusses dazu sagen:

Susanne Menge (Grüne) vom Bundesverkehrsausschuss sagt der AZ auf Anfrage: "Mit den hohen Nutzeneffekten von Reisezeitgewinnen lässt sich praktisch jedes Straßenbauvorhaben über die magische Hürde von 1 hieven." Sie ist für eine Anhebung des Schwellenwerts. Verkehrsausschussmitglied Bernd Riexinger (Linke) hält den niedrigen Schwellenwert für ein "sekundäres Problem". Stattdessen bräuchte es eine Nutzen-Kosten-Analyse, in der Umweltbelange stärker miteinfließen, sagt er der AZ.

Linken-Politiker Bernd Riexinger ist Mitglied im Verkehrsausschuss. Auch er kritisiert die Nutzen-Kosten-Analyse des Bundesverkehrsministeriums.
Linken-Politiker Bernd Riexinger ist Mitglied im Verkehrsausschuss. Auch er kritisiert die Nutzen-Kosten-Analyse des Bundesverkehrsministeriums. © picture alliance/dpa

Martina Englhardt-Kopf, Mitglied des Bundesverkehrsausschusses für die CSU, hält den Schwellenwert nicht für zu niedrig. "Die Wirtschaftlichkeit von Infrastrukturprojekten soll sich gerade nicht politisch willkürlich beschließen lassen, nur weil sie gerade wünschenswert sind", sagt sie der AZ. Greenpeace, Menge und Riexinger sind der Meinung, dass statt der Fernstraßen die Schienennetze ausgebaut werden sollten. Englhardt-Kopf ist hingegen der Meinung, dass es alle Verkehrsträger gleichermaßen zu berücksichtigen gilt. Sie kritisiert, dass die "staatlichen Mehreinnahmen aus der Lkw-Maut zweckentfremdet" werden sollen.

Das BMDV teilt auf Nachfrage der AZ mit, dass die "erneute Bewertung einzelner in den Bedarfsplänen enthaltener Aus- und Neubauprojekte" weder erforderlich noch vorgesehen seien. Daher ändere sich die Dringlichkeitsstufe von Projekten nicht. Die Kritik an den Berechnungsmethoden der Nutzen-Kosten-Analyse teilt das Ministerium nicht.

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