Göring-Eckardt: "Wir brauchen 4000 neue Polizisten"

Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt überrascht in der AZ mit Forderungen nach mehr innerer Sicherheit, einem Programm für Einbruch-Schutz für alle – und Kritik an der CSU.
von  Natalie Kettinger und Michael Schilling
Eine Grüne im Grünen: Katrin Göring-Eckardt im Garten der Abendzeitung. Sie sagt: "Bayern ist kein Sonderling. Vielleicht ist Horst Seehofer sehr besonders."
Eine Grüne im Grünen: Katrin Göring-Eckardt im Garten der Abendzeitung. Sie sagt: "Bayern ist kein Sonderling. Vielleicht ist Horst Seehofer sehr besonders." © ill

München - Die AZ sprach mit Katrin Göring-Eckardt, der Grünen-Fraktionschefin. Unter anderem ging es um die Forderung nach mehr Polizeipräsenz, Sicherheit und die CSU um Horst Seehofer.

AZ: Willkommen in München, Frau Göring-Eckardt. Mal ehrlich, würden Sie nicht auch gern in Bayern leben?
KATRIN GÖRING-ECKARDT: Ich bin Thüringerin. Woanders Wurzeln zu schlagen, ist für mich schwer vorstellbar – auch wenn es hier zauberhaft ist und ich sogar seit einiger Zeit ein Dirndl besitze.

Ach! Wie schaut das aus?
Schwarzer Rock, weiße Bluse, lila Oberteil und eine grüne Schürze – was aber nur Zufall ist: Die war einfach die Schönste. Ein Dirndl zu haben, fand ich angemessen, weil die bayerische Königin Therese ja gebürtige Thüringerin war, eine gekaufte Braut aus Hildburghausen. Die Hildburghauser hoffen bis heute, dass sie aus diesem Grund mal alle aufs Oktoberfest eingeladen werden.

Lesen Sie hier: EU-Ausländer in die Bundeswehr?

Bayern hat ja angeblich eine besondere Außenwahrnehmung. Was verbinden Sie damit?
Bilden Sie sich darauf mal nichts ein (lacht). Die vermeintliche Sonderstellung, die Bayern einnimmt, wird nur von der CSU forciert. Bayern ist kein Sonderling. Vielleicht ist Horst Seehofer sehr besonders. Dieser Dauerstreit in der Bundespolitik, dieses Dauerfeuer, dieses Gefühl, die ganze Republik geht in die eine und Seehofer in die andere Richtung – das alles gibt es schon. Aber Bayern ist eben nicht nur die CSU. Es gibt da noch eine andere Hälfte – und die nehme ich auch wahr.

"Ich wünsche mir, dass Seehofer das seinen Urenkeln erklärt"

Wann etwa?
Wenn ich in Flüchtlingseinrichtungen in Bayern war, bin ich zurückgefahren mit dem großen Erstaunen darüber, dass Seehofer nicht verkündet: „Schaut nach Bayern! Wie wir das machen, ist großartig, wir können das!“ Die Menschen in Bayern haben eine unglaubliche Hilfsbereitschaft an den Tag gelegt. Doch stattdessen wird verkündet: „Wir schaffen das alles nicht.“ Da spielt sich die CSU als Bremsklotz auf.

So wie jetzt bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager?
Ja, interessanterweise mit Sachsen zusammen. Atomkraft spielt in Bayern eine große Rolle, man hat hier sehr lange davon profitiert und viel Geld damit verdient. Jetzt, wo es darum geht, den Schrott verantwortlich zu lagern und zu übernehmen, sagt ausgerechnet die bayerische Staatsregierung: Das geht uns nichts an. Das hat mit moralischem und verantwortungsbewusstem Handeln nichts zu tun. Es ist das Gegenteil davon. Ich wünsche mir, dass Seehofer mal seinen Urenkeln erklärt, warum er sich jetzt so verhält.

Dann dürften Sie mit Bayerns Fortschritt in der Energiewende auch nicht glücklich sein. Gerade erst hat ein Bürgerentscheid einen kleinen Windpark im oberbayerischen Ilmmünster verhindert.
Man hat leider den Eindruck, in Bayern sei eine Restflächenkartierung für Windräder nötig, seit hier die Regel gilt, dass der Abstand zum nächsten Wohnhaus zehnmal größer sein muss als das Windrad hoch. Das ist absurd. Klar ist, dass wir aus der Atomkraft raus müssen und wollen. Auf der anderen Seite regt man sich darüber auf, dass Bayern künftig die Hälfte seines Stroms importieren muss. Das einzige Mittel dagegen sind die erneuerbaren Energien. Seehofer kann sich dagegen und gegen Stromtrassen wehren. Aber irgendwann werden die Bürger in Bayern fragen: Woher soll der Strom denn kommen?

Lesen Sie hier: Bundesweite Polizeiaktion gegen Hasskommentare im Internet

Die Zahl der Anträge, Windanlagen zu errichten, ist in Bayern auf Null gesunken.
Die Unternehmen wollen in Bayern nicht mehr investieren, weil die Lage hier so unklar ist. Es ist seltsam, dass dieser Industriezweig in Bayern gar nicht als solcher begriffen wird. Da geht Ideologie vor wirtschaftlicher Entwicklung.

Sie selbst haben zuletzt als Erfolg verbucht, die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer im Bundesrat blockiert zu haben. Ihr aktueller Kompromiss-Vorschlag kam reichlich spät.
Es gab ja bis kurz vor Schluss auch gar kein Gesprächsinteresse auf der Regierungsseite. Dazu kommt, dass noch vor einem halben Jahr die Bundesregierung davon ausging, es reiche, wenn das Bundesamt für Migration nur genügend Leute einstelle. Heute wissen wir, dass auch das nicht reicht. Deshalb schlagen wir jetzt ein Fast-and-Fair-Verfahren vor, in dem man also schnell und gerecht die Asylverfahren entscheidet: Wer hat eine große Chance zu bleiben, wer hat eine geringe. In einem fairen Verfahren mit unabhängigem Rechtsbeistand von Beginn an soll dann herausgefunden werden, wer womöglich keine Bleibeperspektive hat – oder eben doch, obwohl seine Chance aufgrund des Herkunftslandes zunächst gering schien. Schließlich dürfen schwule Marokkaner und regimekritische Journalisten nicht durchs Raster fallen.

Zu Ihrem Vorstoß gehört auch eine General-Amnestie.
Ja, dazu gehört eine Altfall-Regelung. Mit dem bestehenden Personal im Bundesamt hätten wir sonst über Jahre noch damit zu tun, alte Fälle zu bearbeiten. Wir reden hier von Leuten, die nach zwei oder sogar fünf Jahren hier schon integriert sind, deren Kinder hier in Kitas und Schulen gehen und womöglich sogar hier geboren worden sind. Es macht daher Sinn, mit einer Altfall-Regelung einen Schnitt zu machen und auf Null zu stellen.

"Dschihad-Rückkehrer werden nicht genügend beobachtet"

Mit dieser Regelung dürften viele Menschen in Deutschland bleiben. Bei den Deutschen ist die Angst vor Terror derzeit so groß wie noch nie. Schürt Ihr Modell diese Ängste nicht nur noch?
Wir wollen besser steuern, wer neu in unser Land kommt. Dafür müssen wir einen Schnitt machen bei denen, die schon hier sind. Menschen, die seit Monaten überhaupt auf einen Termin warten, einen Asylantrag zu stellen. Und außerdem: Jemand, der als Terrorist oder IS-Kämpfer nach Deutschland will, wird einen Weg finden. Wir brauchen die Mittel, ihn trotzdem zu identifizieren.

Beruhigend klingt das nicht.
Die Zeit ist turbulent. Für die Terrorabwehr braucht es mehr Polizei, die herausfindet, wo Gefahr besteht. Wir wissen, dass die meisten Täter der vergangenen Jahre polizeibekannt waren. Und wir wissen, dass auch in Deutschland bekannte Dschihad-Rückkehrer nicht ausreichend beobachtet werden können, weil wir nicht genügend Leute haben. Da haben wir ein Versagen unmittelbar vor Augen. Die Altfall-Regelung erschwert der Polizei nicht die Arbeit. Die Hürde besteht darin, heraus zu bekommen, wer ins Land kommt, wer einen terroristischen Hintergrund haben könnte – und die dann zu beobachten und zu verfolgen.

Lesen Sie hier: SPD erlebt Mitgliederschwund in allen Bundesländern

Was noch?
Gleiches gilt übrigens für Vorfälle wie in der Silvesternacht in Köln: Auch da fehlte es an Polizei. Es ist richtig, die Täter mit der ganzen Härte des Rechtsstaates zu belangen. Und ich finde es gut, dass wir dieses Strafrecht an dieser Stelle endlich verschärft haben. Ich glaube aber, dass die Menschen in Deutschland vor etwas anderem noch mehr Angst haben.

Wovor nämlich?
Vor Einbrüchen. Wir haben überall sinkende Kriminalität. Hier steigt sie. Darüber muss man reden. Es gibt derartig viele Wohnungseinbrüche, dass die Deutschen hier völlig zurecht verlangen, dass sich die Politik um ihre Sicherheit kümmert. Sie tut das aber zu wenig und zu langsam. Wir wissen immer noch zu wenig über die Strukturen dieser organisierten Kriminalität, unsere Polizei ist technisch nicht auf dem letzten Stand, und die Vernetzung mit den Polizeidienststellen der Nachbarländer klappt auch noch nicht.

Bemerkenswert, dass eine Grüne mehr Polizei fordert.
Sie können sicher sein, dass mir und vielen in der Partei das sehr ernst ist. Wir brauchen definitiv überall mehr Polizei, wo anfallende Aufgaben nicht angemessen erfüllt werden können. Bayern hat im Verhältnis zu Einwohnerzahl schon mehr als andere Länder, auch weil man hier erkannt hat, dass Polizeipräsenz allein schon sehr wichtig ist. Die Bundespolizei braucht eine bessere Ausstattung – mit mindestens 4000 zusätzlichen Polizisten. Aber die hat man leider nicht über Nacht. Alle brauchen eine Ausbildung – bitte nicht anfangen mit Bürgerwehren und ähnlichen brandgefährlichen Ideen. Polizeiarbeit ist eine hoheitliche Aufgabe und muss es auch bleiben. Was wir aber brauchen, sind mindestens so viele Menschen mit Migrationshintergrund in der Polizei, wie es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Da ist auch Bayern noch nicht sehr weit.

Löst mehr Polizei die Sorge um die Sicherheit schon?
Ich kann das Sicherheitsbedürfnis der Menschen total nachvollziehen. Wohnungseinbruch gehört für mich zum Allerhärtesten. Da dringt jemand ins Intimste vor. Dabei weiß man, dass Sicherungsmaßnahmen am Haus, beispielsweise eine gut gesicherte Tür, Einbrecher meist wirksam abschrecken. Aber dieser Schutz kostet etwas. Hier muss die Politik fördern. Ich wünsche mir ein großes Investitionsprogramm, um private Sicherungsmaßnahmen zu fördern. Da freuen sich auch noch die Handwerker über Aufträge. Aber nicht mal das kriegt die Bundesregierung hin.


Im nächsten Teil lesen Sie: Göring-Eckardt über Flüchtlinge und die Türkei

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.