Glückwunsch, Ökopaxe! - Die Grünen werden 30

Die Grünen werden 30 - am 13. Januar 1980 fand in Karlsruhe ihr Gründungsparteitag statt. Aus der Truppe linksalternativer Rauschebärte und Strickpulli-Ökopaxe von einst ist längst eine etablierte Partei geworden, die sieben Jahre Regierungsbeteiligung im Bund auf dem Buckel hat. Gründungsmitglied und Ex-Parteichef Ludger Volmer blickt im großen AZ-Interview zurück - und nach vorn.
von  Abendzeitung
War von 1991 bis 1994 Bundesvorstandssprecher der Grünen: Buchautor Ludger Volmer.
War von 1991 bis 1994 Bundesvorstandssprecher der Grünen: Buchautor Ludger Volmer. © abendzeitung

Die Grünen werden 30 - am 13. Januar 1980 fand in Karlsruhe ihr Gründungsparteitag statt. Aus der Truppe linksalternativer Rauschebärte und Strickpulli-Ökopaxe von einst ist längst eine etablierte Partei geworden, die sieben Jahre Regierungsbeteiligung im Bund auf dem Buckel hat. Gründungsmitglied und Ex-Parteichef Ludger Volmer blickt im großen AZ-Interview zurück - und nach vorn.

AZ: Herr Volmer, können Sie sich noch an Ihren 30. Geburtstag erinnern?

LUDGER VOLMER: Ja, ganz gut. Das war 1982, da war ich arbeitslos. War gerade rausgeflogen beim Kommunalverband Ruhrgebiet, weil ich mich geweigert hatte, eine Arbeitersiedlung plattzusanieren.

Also waren Sie keineswegs etabliert oder angepasst...

Als Jugendlicher war ich noch sehr christlich, konservativ, fast spießig. Und Meßdiener. 1980, im Gründungsjahr der Grünen, war ich dann aber ein linksgerichteter Studentenpolitiker, der gerade sein Examen gemacht hatte als Diplom-Sozialwissenschaftler.

Jetzt werden die Grünen 30. Haben die sich sehr verändert seit ihrer Gründung? Ist Ihre Partei früh ergraut, hat sich angepasst?

Veränderungen an sich sind nichts Schlimmes, sondern nötig. Die Frage ist nur, ob es sich um kluges Lernen oder dumme Anpassung handelt. Ich sehe bei den Grünen im Prinzip kluges Lernen. Dabei wurden allerdings einige Richtungsentscheidungen in bester Absicht getroffen, an deren Sinn ich damals gezweifelt habe und wo ich mich heute bestätigt sehe.

"Die Grünen waren nie linksorthodox, sondern immer mitte-links und bürgerlich"

Sind die Grünen noch links – oder hat die Linkspartei längst diese Position im Parteienspektrum besetzt?

Die Grünen waren nie eine orthodoxe Linkspartei, sondern immer Mitte-Links. Bei ihrer Gründung haben sie den Raum besetzt, der links von der SPD vakant war. Leider haben sie den Spagat zwischen Mitte und Links Mitte der 90er Jahre aufgegeben und sich zum Linksliberalismus hin orientiert. Damit haben sie Platz dafür gemacht, dass eine linke, orthodoxe Partei an ihnen vorbeiziehen konnte.

Also sind die Grünen bürgerlich geworden...

Die Grünen waren immer bürgerlich. Aber es waren immer die Bürger, die sich mit den sozialen Unterschichten verbündet hatten. Nicht nur in der Programmatik, sondern in ihrem gesamten Habitus. Sie waren bei ihrer Gründung verflochten mit Umweltbewegungen und Feministinnen, Arbeitslosen und Obdachlosen.

Sie schreiben in Ihrem Buch ("Die Grünen. Von der Protestbewegung zur etablierten Partei - eine Bilanz", C. Bertelsmann 2009), dass Sie als Ex-Vorsitzender gerade dabei sind, die Grünen innerlich hinter sich zulassen. Warum das?

Ich bin 2005, als die rot-grüne Koalition zu Ende war, bewusst ausgestiegen. Da ging ein Zyklus zu Ende. Von der Apo, in der ich politisiert worden bin, über die Bürgerinitiativen der 70er Jahre, dann die Gründung der Partei. Dann 16 Jahre Opposition gegen die Regierung von Helmut Kohl, dann endlich die Regierungsbeteiligung. Und als das zu Ende war, habe ich für mich persönlich die Rechnung aufgemacht: Wieviel investiere ich privat und persönlich? Wieviel kann da politisch noch herauskommen? Die Rechnung ging nicht mehr auf, also bin ich ausgestiegen.

Heute vermissen Sie bei Ihrer Partei sozialökologisches Profil. Sind die Grünen auf dem Weg zu einer Öko-FDP für Besserverdienende?

Die Grünen haben früher Ökologie, Wirtschaft und Soziales immer ganzheitlich zusammengedacht. Das Dilemma fing an, als sie angefangen haben, daraus Sektorenpolitik zu machen: Umweltpolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik. Von da an mussten die Grünen mitansehen, dass viele andere Parteien die Umweltpolitik ebenfalls in ihr Repertoire aufgenommen haben. Damit haben die Grünen ihr Alleinstellungspotenzial verspielt.

Aber es gibt doch ein gelb-grünes Milieu, gerade in Großstädten?

Die Grünen waren immer schon der sozial verantwortliche Teil des liberalen Bürgertums. Aber sie haben die ersten 15 Jahre ganz bewusst eine fast sozialistische Politik gemacht. Diese Ausrichtung ist seit Mitte der 90er Jahre fast verlorengegangen. Aus einer sozialökologischen wurde eine ökoliberale Partei.

Der es derzeit an einer klaren Machtperspektive mangelt.

In den 80er Jahren haben die Grünen heftige Flügelkämpfe darüber ausgetragen, ob sie überhaupt in Koalitionen gehen oder in Fundamentalopposition bleiben sollen. Dann haben sie sich durchgerungen zu Koalitionen mit der SPD. Das waren keine rein arithemtischen Mehrheiten, dahinter stand ein richtiges gesellschaftliches Projekt. Nämlich den Interessensausgleich zwischen den ökologischen und sozialen Kräften hinzubekommen, damit man gemeinsam eine Schwungmasse für Reformen bildet. Diese strategische Option ist mit der Etablierung des Fünf-Parteien-Systems verlorengegangen – ich fürchte: für immer.

Jetzt sind die Grünen kleinste Fraktion im Bundestag, wirken grau und blutarm. Ist es nicht höchste Zeit für einen Generationswechsel?

Die Grünen brauchen frisches Denken, das kann in alten Köpfen genauso stattfinden wie in jungen. Deshalb würde ich nicht pauschal sagen: Räumt die Mumien vom Podest! Sondern: Die Grünen, egal ob etabliert oder neu dabei, müssen einfach wieder den Mut haben zu tiefgehenden, auch radikaleren Debatten.

Wobei die Debatte über einen Green New Deal, die die Grünen im letzten Bundestagswahlkampf geführt haben, weit über die Parteigrenzen hinweg aufgegriffen worden ist...

Da entdecken die Grünen eine alte Debatte wieder. Ende der 80er Jahre nannten wir das den ökologisch-solidarischen Gesellschaftsvertrag. Diese Politik ist dann verschüttet worden, um die Partei in die Mitte der Parteienspektrums zu rücken. Erst jetzt, wo die Grünen den Atem der Linkspartei im Nacken spüren, haben sie den Green New Deal wiederentdeckt. Wobei mir dieser Diskurs im Moment noch ein bisschen flach zu sein scheint.

Das anglophone Etikett „Green New Deal“ ist auch nicht gerade massentauglich.

Differenzierte, problemadäquate Politik ist nie massentauglich. Eine Partei, die sich selbst als Avantgarde empfindet, darf nicht nur Rücksicht auf den Massengeschmack nehmen. Sie muss auch mal mit riskanten, experimentellen Gedanken vorausgehen.

In den letzten Jahren wirkten die Grünen eher ängstlich und defensiv, so als wollten sie die Bürger bloß nicht erschrecken.

Die Grünen haben in der Vergangenheit den Bürgern auch Dinge zugemutet, die bei genauerem Nachdenken nicht haltbar waren. Denken Sie nur an Überlegungen zuu den Spritpreisen – fünf Mark für den Liter Benzin. Daher kommt jetzt wohl die Angst davor, überhaupt Experimente zu denken.

Avantgarde waren die Grünen jedenfalls bei der Ökologie. Am Anfang wurden sie als „Körnerfresser“ und „Öko-Spinner“ verspottet. Heute reden alle von Bio und Klima, Öko ist hip geworden. Ist die Partei Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden?

Mit der deutschen Einheit wurde das Thema globale Ökologie verschüttet, Deutschland hat zehn Jahre lang andere Probleme gehabt, den Aufbau Ost und die Angleichung der Lebensverhältnisse. Jetzt entdecken plötzlich alle die Klimapolitik – und kaum jemand erinnert sich, dass die Grünen am Anfang standen.

Welche Rolle spielt das Bündnis 90 noch? Ist der Vereinigungsprozess innerhalb der Partei gelungen?

Ja, da gibt es heute keine Unterschiede mehr. Und die Jüngeren sind alle nach dem Fall der Mauer geboren, für die ist das Geschichte. Aber die Fusion mit Bündnis 90 ist damals zu eng gehalten worden. Ich war dafür, bei den Bündnispartnern in der Ex-DDR-Gesellschaft weiter auszuholen, um sich besser in Ostdeutschland zu verankern. Das Ergebnis sehen wir heute: Wir sind in den ostdeutschen Ländern immer noch schwach.

"Die Grünen sind geschichtsvergessen und stillos"

Andere Parteien huldigen ihren ehemaligen Vorsitzenden auf Parteitagen. Nicht so bei den Grünen: Von Jutta Ditfurth bis Joschka Fischer bleibt das frühere Führungspersonal fern, will nichts mehr mit der Partei zu tun haben. Frisst die Partei ihre Vorderen auf?

Die Revolution frißt ihre Kinder, ja. Sehen Sie: Zum 30. Geburtstag gibt es eine Matinee in Berlin. Aber wichtige Gründungsfiguren, die in den ersten Vorständen saßen und auf den Listen kandidierten, haben nicht einmal eine Einladung bekommen. Ich gehe aus Solidarität mit diesen Leuten jetzt auch nicht hin. Die Grünen sind geschichtsvergessen und stillos.

Woran liegt das?

Die Apo und die alternative Bewegung haben die alten bürgerlichen Tugenden über Bord geworfen, dazu gehörte auch Höflichkeit, Rücksichtsnahme und Achtung vor dem Alter. Sie haben es aber nicht geschafft, eine eigene Kultur zu entwickeln. Sondern sind einfach Banausen.

Ihre Partei hat sich lange Flügelkämpfe zwischen Realos und Fundis geleistet. Heute nennen sie sich die Strömungen Reformer und Linke. Ist dieses Flügelschlagen nur noch inhaltsleeres Ritual?

Ich halte das längst nicht mehr für zeitgemäß, zumal ich selbst oft genug zwischen allen Stühlen saß. Man kann der Partei nur dringend raten, eine starke Mitte zu bilden und die Flügel möglichst schwach zu halten.

Sind Doppelspitzen heute noch zeitgemäß?

Ohne die Quote wären bei den Grünen nicht so viele gute Frauen in führende Positionen gelangt. Und die Quote hat auch die anderen Parteien gezwungen nachzuziehen. Da waren wir wirklich Avantgarde. So etwas kann man nicht einfach abräumen.

Grün ist die Farbe der Hoffnung. Haben Sie noch welche für Ihre Partei?

Die heute 20- bis 30-Jährigen stimmen mich optimistisch: In der grünen Jugend gibt viele sehr kluge, engagierte Leute, die mehr wollen als ihren Platz in der Verwaltung des politischen Besitzstandes zu erringen. Die suchen wieder nach umfassenden Konzepten von Gesellschaftsveränderung. Bei der Generation nach mir dagegen, den pragmatischen 40-Jährigen, sehe ich nur wenige Leute, die wirklich aktiv und kreativ gestalten. Viele sind im Gefolge der Altvorderen in Positionen gekommen, in denen sie sich gemütlich eingerichtet haben.

Interview: Markus Jox

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