Gleich der erste Krach

Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag ist noch nicht trocken, da äußert sich der nächste Finanzminister Schäuble ganz anders als FDP und CSU. Auch die Gesundheit bleibt umstritten
von  Abendzeitung
"Das werden noch schwierige Auseinandersetzungen": CDU-Chefin Merkel bei ihrer Rede.
"Das werden noch schwierige Auseinandersetzungen": CDU-Chefin Merkel bei ihrer Rede. © dpa

BERLIN - Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag ist noch nicht trocken, da äußert sich der nächste Finanzminister Schäuble ganz anders als FDP und CSU. Auch die Gesundheit bleibt umstritten

Koalitionsvertrag? Welcher Koalitionsvertrag? Die künftigen Regierungspartner zanken, als ob es die formelle Einigung auf ein gemeinsames Papier nicht gebe. Vor allem in der Gesundheitspolitik, aber auch in Sachen Steuersenkungen wurden klare Bruchstellen deutlich. Die Passagen aus dem Vertrag werden höchst unterschiedlich ausgelegt und gedeutet. Wolfgang Schäuble fand die feinsinnige Formulierung: „Im Koalitionsvertrag steht, was wir anstreben.“ Sprich: Heißt noch lange nicht, dass das auch kommt.

Eine kleine Auswahl der Interpretationsversuche zum Gesundheitsfonds: „Der Fonds ist Geschichte. Es wird ein neues System etabliert.“ (Markus Söder, CSU, bayerischer Gesundheitsminister). „Es steht kein Systemwechsel an.“ (CSU-General Alexander Dobrindt). „Der Fonds bleibt. Er ist der richtige Weg.“ (Ronald Pofalla, CDU, neuer Kanzleramtsminister). „Der Fonds kann nicht bleiben. Das ist ganz klar vereinbart. Wir brauchen einen schnellen Systemwechsel.“ (Birgit Homburger, neue FDP-Fraktionschefin). „In der Gesundheitspolitik ändert sich erstmal gar nichts.“ (Horst Seehofer, CSU-Chef). „Die Gesundheitsreform wird unser Markenzeichen.“ (Philipp Rösler, FDP, neuer Gesundheitsminister).

Was heißt eigentlich "mittelfristig"?

Eine ähnliche Vielfalt gab es in den Einschätzungen, ob die Änderungen „in den nächsten Monaten“, „mittelfristig“, „ab 2011“ oder „langfristig“ greifen sollen. Bei der Frage der Kopfpauschale wurden die Formulierungskünste dann vollends gefragt: „Eine Kopfpauschale in reinster Form wird es nicht geben“ (Söder). „Es wird auf jeden Fall zu einer Prämie kommen, aber nicht zu einer sogenannten Kopfpauschale“ (Unionsfraktionschef Volker Kauder). Im Koalitionsvertrag steht allerdings klar drin, dass eine einkommensunabhängige Zahlung kommt – wie auch immer man die dann tauft.

Das sind keine bloßen Wortfindungsstörungen, sondern Symptome echter inhaltlicher Risse: Im Vertrag wurde zwar mal etwas vage skizziert, doch die tatsächlichen Positionen liegen meilenweit auseinander. Noch am geschlossensten ist die FDP mit ihrer Radikalreformer-Haltung. Doch bei der CSU werden schon unterschiedliche Stoßrichtungen sichtbar (siehe Söder/Seehofer), und bei der CDU ebenso. Dort rebellieren vor allem der Sozialflügel sowie NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der im Mai Wahlen hat, gegen zu harte Einschnitte allein bei den Arbeitnehmern.

"Die Notwendigkeit ist noch nicht überall angekommen"

Ähnliches gilt bei den Steuern. Hier sind es die Länderfürsten, die fürchten, dass die Finanzierung der Versprechungen vor allem an ihnen hängen bleibt. Der Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum droht sogar schon mit einer Klage in Karlsruhe. Auch der künftige Finanzminister Wolfgang Schäuble zeigt öffentlich Skepsis: In der ARD wollte er ausdrücklich nicht versprechen, dass die Steuersenkungen tatsächlich kommen. Nur: Man werde es versuchen. Auch hier geistern merkwürdige Zahlen herum: Eine Tabelle vom Bund der Steuerzahler, die nun mehr Netto vorrechnet, bezieht sich auf die Entlastungen, die die alte Regierung im Rahmen des Konjunkturpakets beschlossen hat. Das einzig neue sind der höhere Kinderfreibetrag für Topverdiener (ab 79000 Euro pro Jahr) beziehungsweise 20 Euro mehr Kindergeld.

Das Knirschen fand auf den Abnick-Parteitagen gestern aber kaum statt. CDU-Chefin Bundeskanzlerin Angela Merkel schlug allerdings bewusst einen anderen Tonfall an als Westerwelle und Seehofer – betont nüchtern, ohne jegliches Jubelgebrüll, mahnend zu mehr Ernsthaftigkeit: „Diese Notwendigkeit ist vielleicht noch nicht überall angekommen. Das werden noch schwierige Verhandlungen.“ Am Abend sollte der Koalitionsvertrag dann feierlich unterzeichnet werden – was auch immer er wert ist. tan, jox

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