Gewalt in Ägypten eskaliert: Blutige Szenen auf den Straßen

Ein Journalist soll niedergestochen worden sein: Mit Peitschen und Stöcken schlugen Mubarak-Anhänger auf die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz ein. Auf dem Platz der Befreiung in Kairo eskaliert die Gewalt, das Militär greift nicht ein.
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Mubarak-Anhänger stürmten den Tahrir-Platz
Gabo Ggentur Focus / dpa report Mubarak-Anhänger stürmten den Tahrir-Platz

KAIRO - Ein Journalisten soll niedergestochen worden sein: Mit Peitschen und Stöcken schlugen Mubarak-Anhänger auf die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz ein. Auf dem Platz der Befreiung in Kairo eskaliert die Gewalt, das Militär greift nicht ein.

Nach tagelangen Demonstrationen ist die Gewalt auf dem Tahrir-Platz in Kairo eskaliert: Zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Husni Mubarak kam es zu Schlägereien, es flogen Steine und Flaschen. Mehrere tausend Mubarak-Anhänger hatten zuvor teilweise auf Pferden und Kamelen den Platz gestürmt und auf die Demonstranten eingeschlagen. Diese wehrten sich und zogen die Reiter von den Tieren. Die Opposition erklärte, unter den Angreifern seien viele Polizisten in ziviler Kleidung gewesen.

Der Sender Al Dschasira berichtete, ein Journalisten von Al Arabija sei niedergestochen worden. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AP sah, wie rund 3.000 Regierungsanhänger eine Menschenkette durchbrachen, die Demonstranten zum Schutz der Menschen auf dem Platz gebildet hatten. Die Angreifer rissen Plakate nieder, auf denen Mubarak kritisiert wurde, und schlugen mit Stöcken und Peitschen auf die Demonstranten ein. Auf dem Platz der Befreiung waren viele Menschen mit blutigen Gesichtern zu sehen, einige Männer und Frauen weinten.

Zuvor hatten Soldaten den Platz bewacht und beide Lager voneinander getrennt. Als die Zusammenstöße begannen, griffen sie jedoch nicht ein, sondern verschanzten sich in oder hinter ihren Schützenpanzern und Panzern an den Zugängen zum Platz.

Die Streitkräfte forderten nach dem angekündigten Rückzug von Mubarak ein Ende der Demonstrationen. Ein Militärsprecher sagte, die Botschaft der Demonstranten sei angekommen, ihre Forderungen seien bekannt. Jetzt müsse das normale Leben im Land wiederhergestellt werden. Die Streitkräfte forderten, die Demonstranten müssten sich "aus Liebe zu Ägypten" zurückziehen. Die Äußerungen der Streitkräfte waren ein Anzeichen dafür, dass die Demonstranten die Unterstützung des Militärs verlieren könnten. Noch am Montag hatte die militärische Führung vorsichtige Unterstützung signalisiert und erklärt, sie werde keine Gewalt gegen die Teilnehmer der Protestaktionen anwenden.

Als Zeichen einer Normalisierung war das Internet am Mittwoch aber nach tagelangem Ausfall in Ägypten wieder zugänglich. Das bisher von 15.00 Uhr bis 08.00 Uhr geltende Ausgehverbot wurde auf 17.00 Uhr bis 07.00 Uhr verkürzt.

Zu den Kundgebungen der Mubarak-Anhänger kamen in Kairo und in Alexandria Tausende. Es könnte ein Versuch der drei Millionen Mitglieder zählenden Nationaldemokratischen Partei von Mubarak sein, die Initiative wieder zurückzuerlangen. Auch in Alexandria kam es nach Berichten des Senders Al Dschasira zu Auseinandersetzungen zwischen beiden Seiten.

Einige Anhänger Mubaraks äußerten die Befürchtung, dass es zu einer anhaltenden Lebensmittelknappheit kommen könnte, wenn die Demonstrationen weitergingen. Einer der Organisatoren der Proteste, Ahmed Abdel Hamid, sagte dagegen, mit der Schließung der Banken und der Lebensmittelknappheit wolle das Regime Druck auf die Demonstranten ausüben. Vor Tankstellen und Bäckereien bildeten sich bereits lange Schlangen, frisches Gemüse gab es in Kairo praktisch nicht mehr zu kaufen.

Kein Gang ins Exil

Mubarak hatte am Dienstagabend in einer zehnminütigen Fernsehansprache angekündigt, dass er im September nicht mehr bei der Präsidentenwahl kandidiert. Die Forderung von Hunderttausenden Demonstranten, sofort zurückzutreten, lehnte er aber ab. Mubarak erklärte, er habe nie die Absicht gehabt, im September für eine weitere sechsjährige Amtszeit zu kandidieren. "Ich werde die verbleibenden Monate dafür arbeiten, die notwendigen Schritte für einen friedlichen Transfer der Macht einzuleiten." Einen Gang ins Exil lehnte er ab. Führende Mitglieder seiner Nationaldemokratischen Partei gaben nach der Rede öffentliche Stellungnahmen ab, in denen sie andeuteten, nur die Regierung könne Ägypten zurück auf den Weg zu Stabilität und Sicherheit führen.

Hunderttausenden Demonstranten war Mubaraks Verzicht auf eine weitere Kandidatur zu wenig. Sie forderten nach der Rede weiter den Rücktritt des Staatschefs bis Freitag und reagierten mit lautstarker Ablehnung auf die Rede. "Verschwinde, verschwinde, verschwinde", riefen sie, buhten und schwenkten Schuhe über ihren Köpfen in Richtung eines Mubarak-Porträts. In der arabischen Welt ist das ein Zeichen großer Verachtung.

Obama dringt auf raschen Wandel

Auch US-Präsident Barack Obama drängt Mubarak, angesichts der Massenproteste in seinem Land einen sofortigen und geordneten Übergang zu einer neuen Regierung einzuleiten. Obama telefonierte am Dienstagabend eigenen Angaben zufolge nach Mubaraks Rede an die Nation mit dem 82-jährigen Staatschef. Der Protestbewegung, die zuvor allein in Kairo eine Million Demonstranten gegen Mubarak mobilisiert hatte, versicherte er: "Wir hören eure Stimmen." In einer Pressekonferenz im Weißen Haus ließ Obama durchblicken, dass ein Abgang im September wohl nicht früh genug sei. Mubarak habe in dem Telefonat selbst eingesehen, "dass der Status Quo nicht aufrechtzuerhalten ist und dass ein Wandel stattfinden muss".

Die US-Regierung begann am Mittwoch mit dem Abzug von allen nicht unbedingt notwendigen Mitarbeitern in Ägypten. Die amerikanische Botschaft teilte mit, es würden voraussichtlich mehr als 1.000 US-Amerikaner innerhalb der nächsten zwei Tage Ägypten verlassen, darunter Regierungsmitarbeiter und andere Bürger.

Auf dem Flughafen von Kairo warteten am Mittwoch mehr als 8.000 Reisende auf einen Flug aus dem Land. Wie Angestellte des Flughafens mitteilten, hatten am Dienstag mehr als 18.000 Passagiere in den Abflughallen gewartet. Mehr als die Hälfte von ihnen habe einen der Sonderflüge nutzen können, mehrere Länder organisiert hatten.

dapd

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