Gesine Schwan beim AZ-Besuch: "Es ist Zeit für zwei Frauen"
Horst Köhlers SPD-Herausforderin über die Chancen der Krise, über Solidarität in der Gesellschaft und die Kooperation mit Bundeskanzlerin Angela Merkel – und über ihre Frisur
AZ: Frau Schwan, Sie warnen vor drohenden sozialen Unruhen in Deutschland. Schüren Sie damit nicht erst Recht die Angst der Menschen?
GESINE SCHWAN: Nein, ich schüre keine Angst. Angst ist für mich der allerschlechteste Ratgeber in allen Situationen. Aber man muss sich doch dieser Frage stellen: Wie geht es in ein paar Monaten weiter? Wir müssen wissen, dass die Kurzarbeit nicht unendlich weitergehen wird. Dass wir jeden Tag weitere Entlassungen sehen werden. Diese Wut ist doch bei den Menschen latent da. Dieses Gefühl "Wir müssen für die Fehler anderer bezahlen". Und gleichzeitig sehe ich Verantwortungsträger, die denken, das sei nur ein Betriebsunfall und weitermachen wollen wie bisher. Ich habe die Sorge, dass mit der Krise leichtfertig umgegangen wird. Und dass man die Chance zum Neuanfang nicht nutzt.
Inwiefern?
Ich habe neulich einen Arbeitgeber gehört, der hat gesagt, er wünsche sich mehr Deregulierung. Er hat genauso geredet wie vor einem dreiviertel Jahr. Ich sage ja gar nicht, dass es nicht bürokratische Belastungen gibt. Aber dass nicht mal die Antwort kommt "wir wissen zwar, dass Deregulierung auch Gefahren bedeutet", diese Mühe machte sich der Herr nicht.
Horst Köhler ist ehemaliger Banker. Ist er glaubwürdig? Wären Sie in der Krise die bessere Präsidentin?
Darauf antworte ich nicht. Ich als Bundespräsidentin würde versuchen, die Verantwortlichen dazu zu gewinnen, rational zu überlegen, was schief gelaufen ist. Wenn wir sie nur moralisch anklagen, in eine Ecke stellen und im Übrigen weitermachen lassen wie bisher, wird die Chance der Krise nicht genutzt. Wir unterschätzen die Gesellschaft, wenn wir meinen, wir dürften nicht sagen, wo genau das Problem liegt. Deshalb hat mir die Inaugurationsrede von Barack Obama so gut gefallen. Vor allem der Satz: "Ich kann es nicht alleine, ich kann es nur mit der Gesellschaft zusammen erreichen."
Eines Ihrer Hauptanliegen ist es, das Vertrauen in die Demokratie zu stärken. In Bayern fordert die CSU in Europa Volksabstimmungen. Würde das das Vertrauen stärken?
Da werden häufig drei Elemente genannt: Volksabstimmungen, Referenden und Einflussnahme der Bürger auf die Partei-Listen. Über Letzteres sprechen die CSUler glaube ich nicht so gerne, lieber schon die Freien Wähler. Natürlich kann direkte Demokratie zu mehr Vertrauen beitragen. Aber wohldosiert und nicht nach dem Motto: Je mehr, desto besser. Die Kehrseite ist nämlich: Wir müssten politische Fragen sehr vereinfachen in eine Ja/Nein-Alternative. Das geht zum Beispiel bei einer Verfassung nicht.
Wäre das ein gutes Rezept gegen Politikverdrossenheit?
Wer sich nicht an Politik beteiligt, ist eher unzufrieden. Wir müssen auf unsere demokratische Kultur achten. Zu der gehört zentral das Einfühlungsvermögen. Für Jobsuchende, für Menschen die aus der Türkei oder anderswo herkommen, für Menschen mit Behinderungen, für alleinerziehende Mütter. Diese Empathie, die Voraussetzung ist für Solidarität, müssen wir üben.
Ist dieser Mangel an Empathie eine Ursache der Krise?
Natürlich. Wenn Sie als Kind von früh auf lernen "Du hast nur eine Chance, wenn du dich gegen andere durchsetzt" – dann schau ich doch nicht, ob die anderen mithalten können. Sondern ich schaue, dass ich erster bin.
A propos Solidarität: Bekommen Sie von der SPD genügend Unterstützung?
Ohne jede Einschränkung ja. Das war vielleicht nicht immer so, aber am Sonntag bei der Vorstellung des SPD-Wahlprogramms im Berliner Tempodrom haben sowohl Franz Müntefering als auch Frank-Walter Steinmeier mir sehr herzlich ihre Unterstützung versichert.
Es gibt ja noch einen dritten Kandidaten: Peter Sodann, den Ex-Tatort-Kommissar. Nehmen Sie ihn ernst?
Ich nehme jeden ernst. Herr Sodann selbst versteht sich als Kabarettist. Deshalb formuliert er manche Äußerungen natürlich sehr pointiert. Aber nicht mit der Absicht, das eins zu eins umzusetzen.
Da klingt die Zusammenarbeit mit der Linken schon an. Wenn Sie gewählt würden, dann nur im Zuge einer rot-rot-grünen Kollaboration.
Dafür, dass ich unter Umständen auch von der Linken gewählt werde, wird es überhaupt keine Zusammenarbeit geben. Es gibt von mir nur ein Angebot an alle Parteien, sich an der Stärkung der Demokratie zu beteiligen. Auch an die Linke gibt es dieses Angebot, nur nicht an die extreme Rechte. Ein Vorzeichen für eine rot-rot-grüne Koalition im Herbst wäre meine Wahl überhaupt nicht, schon weil es diese Koalition nicht geben wird. Dafür gibt es vielleicht sogar eine Mehrheit, aber es fehlt der politische Wille. Es gibt auf der Bundesebene bei den Fragen, die anstehen, einfach nicht genügend Gemeinsamkeiten. Da gilt sowohl für die SPD als auch für die Linke.
Aber ihre Gemeinsamkeiten mit Horst Köhler sind offenbar noch geringer...
Dass ich gesellschaftspolitisch, bei der Bildung, beim Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik seit langer Zeit eine andere Position habe als der Amtsinhaber, ist für alle offenkundig.
Frau Schwan, manche reißen Witze über Ihre Frisur. Aber niemand redet über Köhlers Haare. Ärgert Sie das?
Nö. Im Gegenteil: Ich glaube, dass dieses Thema sogar eine Frau aufgebracht hat. Frau Maischberger, in einer Talkshow 2004. Ich finde meine Frisur schön, das ist alles. Es gibt auch Karikaturisten, die sich sehr darüber Freude. Nur mein Mann toppt das manchmal noch – er nennt mich dann scherzhaft "meine blonde Tussi" (lacht).
Seit einem Jahr machen Sie jetzt Nonstop-Wahlkampf. Wie entspannen Sie abends?
Dieses Runterkommen abends ist das Schwierigste. Andere können sofort einschlafen, ich nicht.
Und wie klappt’s dann? Eher beim „Kerner“ gucken oder mit einem guten Buch?
Am besten hilft Spazierengehen. Auch klassische Musik wie die Cello-Sonate von Brahms oder ein Roman wie "Adler und Engel" von Juli Zeh. Fernsehgucken jedenfalls eher nicht.
Mit ihnen stünde neben Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits die zweite Frau an der Staatsspitze...
Wir haben es jetzt in Deutschland ja lange genug mit zwei Männern an der Spitze getestet. Vielleicht ist jetzt mal Zeit für zwei Frauen. Die Chancen dafür stehen 50 zu 50.
Interview: Markus Jox, Arno Makowsky, Frank Müller, Annette Zoch