Genschers Weiheschlag
Der Altstar adelt die Nachwuchshoffnung: "Sie können das". In letzter Zeit hat der FDP-Ehrenvorsitzender allerdings schon manchmal die Pferde gewechselt
BERLIN Ein gemeinsames Buch mit Hans-Dietrich Genscher – höhere Weihen sind in der FDP kaum zu haben. Jetzt ist das Werk, dass der 86-jährige Grandseigneur der Liberalen zusammen mit dem 34-jährigen Nachwuchsstar Christian Linder verfasst hat, offiziell auf dem Markt. Seine Botschaft: Lindner wäre der beste denkbare Chef. Das hat Genscher allerdings auch schon von anderen geglaubt.
Der zentrale Dialog lautet: „Unsere Partei sollte Brücken schlagen, statt Gräben zu festigen“, verkündet der Junior. Da antwortet der Senior: „Ja, schlagen Sie Brücken, Herr Lindner. Sie können das.“ Das erinnert ziemlich an SPD-Altvater Helmut Schmidt, der seiner Partei Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten empfahl. Sie ist diesem Rat gefolgt und nun nur gemischt glücklich damit. Auch in der FDP wird der Weiheschlag Genschers nicht mehr als völlig unfehlbar betrachtet: Mit seinem früheren Ziehsohn Guido Westerwelle zum Beispiel rechnet er in dem neuen Buch ganz schön ab. Dieser habe sich „zu lange an den Steuersenkungen festgebissen“, zählt Genscher die Fehler auf. Und: „Besonders bedauerlich“ sei die Mehrwertsteuer-Reduzierung für Hoteliers gewesen.
Auch nach Westerwelles Sturz konnte sich Genscher nicht so recht entscheiden, auf welches Pferd er setzt. Laut „Spiegel“ hat die damalige Boygroup aus Lindner, Philipp Rösler und Daniel Bahr mal festgestellt, dass der Grandseigneur in dieser Phase alle drei unabhängig voneinander ermuntert hat, nach dem Chefsessel zu greifen. Auch Rainer Brüderle soll sich des Segens von oben recht sicher gewesen sein, als Genscher an seiner Seite zum Dreikönigstreffen einzog. Doch dann trat der Ehrenchef plötzlich wieder an Röslers Seite auf.
"Wie ein Klassensprecher"
Und jetzt also das Buch mit Lindner. Sie hätten sich immer so gut unterhalten, dass sie die Öffentlichkeit in Buchform an ihren Gesprächen teilhaben lassen wollten, sagen die Autoren. „Wir haben viel voneinander gelernt.“ Genscher preist den Nachwuchsstar als „Mann der Zukunft“. Der 34-jährige wird schon eine Weile bei den Liberalen als papabile gehandelt, aber bisher stehe ihm sein Alter im Weg, sagt Lindner selbst. Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer würde er „wie ein Klassensprecher“ wirken.
Inhaltlich bleiben sie ziemlich im Ungefähren. Das auffälligste Signal setzt Lindner – Richtung sozialliberale Koalition. „Ich habe in der SPD genau so viele Gesprächspartner wie in der Union.“ Allerdings sind auch schon wieder hauchzarte Absetzbewegungen des Altmeisters erkennbar: Nach Lindners eher mittelmäßigen Abschneiden bei der Wahl der Parteivizes wurde die gemeinsame Buchvorstellung in Berlin wieder abgesagt. Aber immerhin liegt das Buch jetzt in den Läden.