Gene Sharp: Der leise Lehrer der Revolution

Gene Sharp bewundert Einstein und Gandhi. Sein 90-Seiten-Werk „Von der Diktatur zur Demokratie” wird seit 18 Jahren als Drehbuch für gewaltlose Umbrüche eifrig weitergereicht
von  Matthias Maus

Boston - Das waren die Ägypter – nicht ich”, sagt Gene Sharp. Der alte Mann vor seinem Bücherregal bleibt bescheiden. Er will kein Revolutionsführer sein. Aber, ob er will oder nicht: Gene Sharp, der 83-jährige ehemalige Harvardprofessor ist zumindest ein geistiger Vater der Revolution, die derzeit Nordafrika umwälzen.
Die jungen Leute von Tunis über Kairo bis Bengasi haben von Gene Sharp gelernt - so wie vorher die Rebellen gegen den Diktator in Serbien. Sie waren erfolgreich, weil sie sein Grundgesetz beherzigt haben: Der Kampf gegen Diktaturen muss gewaltlos sein: „Wenn Sie zur Gewalt greifen, kämpfen Sie mit der besten Waffe ihres Feindes”, sagt der Mann mit der sanften Stimme: „Die Ägypter sind friedlich geblieben. Das ist eine unglaubliche Leistung – wie von Gandhi.” Über den indischen Guru der Gewaltlosigkeit hat Junggeselle Sharp sein erstes Buch geschrieben, Albert Einstein schrieb das Vorwort dazu.
Doch es war ein anderes Buch des Soziologen, das zum Drehbuch der Revolution wurde. „Von der Diktatur zur Demokratie” erschien erstmals 1993, die gut 90 Seiten sind in 24 Sprachen übersetzt, man kann sie sich im Internet herunterladen. Protestbewegungen in aller Welt haben das Buch studiert, und sie haben sich daran gehalten.
„Diktatoren sind keine Supermänner, sie haben Schwächen”, schreibt Sharp: „Ihre Macht basiert auf der Kooperation der Bevölkerung.” Das heißt umgekehrt:„Geschickt ausgeführter politischer Widerstand” schwäche die Diktatur. Nicht gleich, nicht sofort, aber irgendwann sicher.
Wie „politischer Widerstand” aussieht, liefert Sharp im Anhang mit: 198 Arten des gewaltlosen Widerstands sind dort aufgeführt, vom Flugblatt bis zu Straßensketchen. Von „öffentlicher Entkleidung” bis zu „falschen Beerdigungen”, reichen die symbolischen Aktionen, die den Apparat der Unterdrücker verunsichern und beschäftigen sollen. Läppisch? Die Geschichte beweist das Gegenteil.
Da war die serbische Gruppe „Otpor”, die sich um die Jahrhundertwende gegen Slobodan Milosevic auflehnte. Als der Diktator Otpor „Terroristen”, nannte, da ergaben sich 200 Otpor-Leute auf einmal bei der Polizeiwache. Die Polizei schickte sie fort. Bei all ihren Aktionen blieb Otpor gewaltlos. Einer ihrer Sprecher sagt, sie seien von Sharps Ideen fasziniert gewesen. Milosevic wurde im Jahr 2000 gewaltlos gestürzt.
„Wenn die Leute ihre Angst verlieren, dann haben Diktatoren große Probleme”, sagt Sharp. Das sei in Ägypten und Tunesien passiert. Die Revolutionen verfolge er „fasziniert” auf CNN und in der Zeitung. Mit dem Internet hat er es nicht so. Seine Mitarbeiterin betreut die Web-Seite seiner „Albert-Einstein-Institution” (www.aeinstein.org). „Ich müsste öfter mal reinschauen”, sagt Sharp selbstkritisch.
Das Symbol von Otpor war die geballte Faust, sie tauchte elf Jahre später wieder auf – auf dem Tahrirplatz in Kairo. Eine ägyptische Bloggerin hatte Gene Sharps 198 Revolutionstipps ins Arabische übersetzt. Sein Konzept, „die Schwächen des Diktators anzugreifen”, hatten die Demonstranten verinnerlicht. Diktaturen tun sich schwer mit immer neuen Demo-Formen an immer neuen Stellen.
Er ist nicht auf Facebook, er schreibt selten E-Mails, aber Gene Sharp hat die Software geschrieben für die Facebook- und Twitter-Revolten. Und manche Mächtige haben Angst vor ihm. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat ihn als CIA-Agenten bezeichnet, Venezuelas Hugo Chavez beschimpft ihn und die Junta in Myanmar bezeichnet Sharp als „Teil einer Verschwörung, die Regierung zu stürzen”.
Sharp schmunzelt über Verschwörungstheorien. Seine Organisation besteht aus ihm und seiner Mitarbeiterin. „Wir haben nie Unterstützung vom Staat oder vom CIA bekommen.” Er lebt von Spenden und Buchverkäufen. Mit Mischlingshündin Sally bewohnt er das Haus in Boston, es ist auch Sitz der Einstein-Gesellschaft. „Einsteins Sorge wegen totalitären Staaten hat mich zu dem Namen angeregt.”
Läuft die Zeit der Diktatoren ab? „Das ist mir zu großspurig” sagt der Gelehrte, „es wird immer Diktaturen geben, und immer Opfer”. Und der Protest gehe nicht immer gut aus. Die „Grüne Revolution” im Iran sei 2009 gescheitert, „weil die Opposition keinen strategischen Plan hatte”, sagt er der „Welt”.
Sharp bleibt ein leiser Lehrer der Revolution. Er warnt vor Euphorie: „Jetzt zu handeln, weil man sich inspiriert fühlt, ist gefährlich”, sagt er an die Adresse der Opposition in Diktaturen: „Die Leute müssen erst ihre Hausaufgaben machen. Ich weiß nicht, wann ihre Chance kommt.” Aber, und das ist die wichtigste Botschaft von Gene Sharp: Es gibt sie, diese Chance.

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