Geklärte Verhältnisse in Hessen

Hessen hat gewählt: Roland Koch ist zurück, Andrea Ypsilanti ist am Ende. Und die FDP strotzt nur so vor Kraft. Szenen desWahlabends in Wiesbaden.
von  Abendzeitung

Hessen hat gewählt: Roland Koch ist zurück, Andrea Ypsilanti ist am Ende. Und die FDP strotzt nur so vor Kraft. Szenen desWahlabends in Wiesbaden.

Humor behalten,wenn alles schiefgeht: Phillip Schneider kann das. Juso-Vorsitzender ist er in Wiesbaden, und: „23 Jahre alt bin ich“, sagt er: „So viel, wie wir Prozente bekommen. Mal sehen, wie das in 25 Jahren ist.“ Das Lächeln gerät schief, aber wie soll man an diesem Abend schon empfinden.

Im Fraktionssaal der SPD im Wiesbadener Landtag herrscht die Stimmung eines Pharaonengrabs: düster, eng, eine Luft zum Schneiden. Mit der ersten Prognose des Wahlabends weicht auch die letzte Aussicht, die SPD könne auf absehbare Zeit wieder anknüpfen an die großen Zeiten, als dieses industrielle Kernland der Republik eine rote Hochburg war. Aus und vorbei.

Ypsilantis Fehleinschätzung

Kein Jahr ist es her, da sah das anders aus. Da schien es geschafft zu sein, da konnte die SPD noch träumen vom Machtwechsel, vom Erfolg der „Koch-muss-weg-Stimmung“. So dicht war Andrea Ypsilanti am Ziel, dass sie sich schon durch sah. Eine Fehleinschätzung, die erste, und nicht ihre folgenreichste. Jetzt, 350 Tage später, steht sie da und möchte „zu meinen Leuten sprechen“. Sie sagt: „Ich trete zurück“ – keine Hand rührt sich. Sie ist am Ende.

„Das schafft nur einer!“ sagt Volker Bouffier, ein paar Säle und ein paar verwinkelte Gänge weiter im Wiesbadener Landtag: „Lieber Roland Koch, das Gesetz der Boxer, they never come back, bei dir gilt das nicht!“ Und Roland Koch, der schon ganz unten war, angezählt und abgeschrieben als politischer Loser, hört es sich an, ungerührt. Man ahnt nur, dass es ein großer Tag ist für ihn, niemals würde er seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Er dankt, er lobt. Er hält den Ball flach. Bloß keine Euphorie.

Schließlich hat er auch nicht wesentlich mehr Stimmen geholt als im vergangenen Jahr und kann jetzt nur dank der FDP weiterregieren. Koch ist viel zu kalkuliert für Jubel-Szenen, zu berechnend und zu ausgefuchst. Das hat er ja mehrmals bewiesen. Er war es schließlich, der sich in der CDU-Spendenaffäre des Jahres 2000 der Lüge zeihen lassen musste. Er war es, der damals behauptet hat, er habe als Spitzenkandidat der Landtagswahlen nichts gewusst von den angeblichen „jüdischen Vermächtnissen“, mit der die Union ihre Schwarzgelder getarnt hat. Das ließ sich nicht halten, aber davon ist nicht mehr die Rede im Januar 2009. Der CDU-Skandal schlummert in den Geschichtsbüchern, ebenso wie der unappetitliche Anti-Ausländer-Wahlkampf von 1999, mit dem Koch seinen ersten Wahlsieg einfuhr.

Die Anti-Koch-Stimmung ist verflogen

Im kurzen Wahlkampf 2009 spielte das so wenig eine Rolle wie der Versuch von 2008, mit der Kampagne gegen „zu viele kriminelle ausländische Jugendliche“ zu punkten. 2008 wandten sich viele Konservative ab vom durchschaubaren Menschenfang mit Ressentiments. Vor einem Jahr profitierte die SPD von einer Anti-Koch-Stimmung. Doch die ist verflogen: „Weil wir einen Tunnelblick hatten“, sagt eine Fraktionsmitarbeiterin bei der SPD. „Und am Ende des Tunnels war die Tür zur Staatskanzlei.“ Das ist auch schon das Selbstkritischste, was man von den Sozialdemokraten an diesem Abend zu hören bekommt.

Der Wortbruch? Dass Ypsilanti vor der Wahl nicht von der Linken toleriert werden wollte, nach der Wahl aber doch? „Das ist doch maßlos übertrieben“, sagt Sylvia Kunze aus Frankfurt und winkt verärgert ab. „TSG“ steht auf ihrem Button. „Der ist genau der Richtige gewesen“, sagt die Frankfurterin über Thorsten Schäfer-Gümbel. Der Mann, über den sich am Anfang so trefflich Witzchen reißen ließen – er ist der Hoffnungsträger, der Einzige, den die SPD noch hat.

FDP feiert ihr "geiles" Wahlergebnis

Über sowas kann man zwei Stock tiefer nur lachen: „Es lohnt sich eben, Wort zu halten“, sagt Hermann Otto Solms zur AZ. Der ist finanzpolitischer Sprecher der FDP im Bundestag und freut sich, als sei die Finanzkrise gerade besiegt worden. Leicht pikiert schaut der distinguierte Abgeordnete nur wegen des Lärms draußen auf dem Fraktionsgang: „So geil, so geil!“ jubiliert eine Jungliberale. Sie meint das Wahlergebnis.

Und natürlich zeigen sich auch die Grünen Freude erregt über „das beste Ergebnis in einem Flächenstaat“. Nur klingt es hier ein wenig trotzig. „Wir wären ja regierungsfähig“, sagt Till Haupt aus Limburg: „Wenn uns die Wähler nur mal ran lassen würden.“ In fünf Jahren vielleicht.

Matthias Maus

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