"Gegen die Angst gibt es keinen guten Tipp"

Der 64-Jährige Bandelow ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen. Er ist Präsident der Gesellschaft für Angstforschung. Bandelow hat zahlreiche Bücher zum Thema Angststörung und Angsttherapie verfasst.
Herr Bandelow, die Bilder aus Berlin schockieren Deutschland und die Welt. Was passiert im Kopf, wenn nach einem solchen Attentat die Angst hochkommt?
Borwin Bandelow: Der schreckliche Anschlag hat dazu geführt, dass die Menschen extrem verunsichert sind. Man hat damit gerechnet, dass es in Berlin passiert und dass es auf einem Weihnachtsmarkt passiert, die schlimmsten Befürchtungen der Menschen sind somit wahr geworden. Das wird dazu führen, dass sich viele Menschen verängstigt fühlen und auch weiterhin mit dem Schlimmsten rechnen.
Wie zeigt sich diese Angst konkret?
Normalerweise empfindet man Angst im eigentlichen Sinn nur, wenn man direkt bedroht wird. Wenn also ein Angreifer auf einen zukommt. Aber wenn man nur in der Zeitung liest, dass etwas Schreckliches passiert ist, führt das jetzt nicht zu körperlichen Ausdrucksformen der Angst wie Herzrasen, Zittern, Schwitzen und Schwindel, sondern man macht sich große Sorgen. Wenn man sich überlegt, heute Abend auf einen Weihnachtsmarkt zu gehen, überwiegen sicher die Sorgen, aber es ist keine Panik.
Immer wenn eine Gefahr als neu und unbeherrschbar erscheint, haben die Menschen mehr Angst, als es der tatsächlichen Gefährdung durch Terroranschläge entspricht. Sie haben ja selbst gesagt, dass andere Gefahren, wie Tod durch Autounfall, viel häufiger sind, aber darüber denkt man gar nicht nach, wenn man sich am Morgen auf das Fahrrad oder ins Auto setzt. Das nimmt man sozusagen in Kauf, dass das Leben nicht ganz ungefährlich ist. Aber das Gehirn ist nicht in der Lage, Statistiken zu interpretieren. Die Statistiken würden sagen, dass die Chance auch nach diesem Anschlag doch sehr gering ist, Opfer eines Anschlags zu werden. Von daher könnten wir eigentlich beruhigt sein. Wir sollten eher darauf achten, einen Helm zu tragen, als jetzt nicht mehr auf Weihnachtsmärkte zu gehen. Aber das kann unser Gehirn nicht so verarbeiten.
Wie kann man die Angst in den Griff bekommen?
Da gibt es keinen guten Tipp dagegen. Denn es gibt manche Menschen, die gehen jetzt erst Recht auf Weihnachtsmärkte, a) um den Terroristen zu zeigen, dass ihr Plan nicht auf geht, uns einzuschüchtern, b) um sich auch selbst zu beweisen, dass man sich den Ängsten stellt und weil sie vielleicht auch kühl überlegen, dass die Chance Opfer zu werden gering ist. Aber es gibt auch Menschen, die jetzt zu Hause bleiben, auch wenn das jetzt nicht logisch ist.
Warum ist das nicht logisch?
etzt zu Hause zu bleiben und dann wieder herauszukommen und zu denken, ab jetzt ist die Gefährdungslage anders, weil zwei Wochen vergangen sind. Aber trotzdem kann man das den Menschen nicht verdenken, wenn sie sich zurückziehen und Menschenansammlungen vermeiden.