Kommentar

"Gefährlich, eine Frau zu sein": Diese Zahlen sind eine Schande für Deutschland

Es ist ein erschreckendes Lagebild, das das Bundeskriminalamt für das Jahr 2023 zeigt: Fast täglich wird in Deutschland eine Frau oder ein Mädchen getötet. Tausende werden Opfer von Sexualdelikten und anderen Übergriffen. Was AZ-Korrespondentin Nargis Silva von der Politik fordert.
von  Nargis Silva
Diese junge Frau wurde mit einem Messer angegriffen. Die lange Narbe am Bauch wird sie für immer an den Mordversuch erinnern.
Diese junge Frau wurde mit einem Messer angegriffen. Die lange Narbe am Bauch wird sie für immer an den Mordversuch erinnern. © Ralf Rottmann / www.imago-images.de

Es ist eine Schande für unser Land. Anders kann man es nicht sagen. Fast täglich findet ein sogenannter Femizid statt – das heißt, dass eine Frau oder ein Mädchen getötet wird, alle drei Minuten passiert häusliche Gewalt. Jeden Tag werden 140 Frauen Opfer von Sexualverbrechen, wobei mehr als die Hälfte minderjährig sind. Seit 2019 stieg die Zahl um 27 Prozent.

Auch die Angriffe auf Frauen im Internet nehmen rapide zu. In den letzten zwei Jahren geschahen auf den sozialen Plattformen die meisten frauenfeindlichen Straftaten. Die Täter sind fast immer Männer. 

Fußfesseln und verpflichtende Täterarbeit sind längst überfällig

Die Zahlen stammen aus dem ersten Lagebild zur Frauenkriminalität, den das Bundeskriminalamt erarbeitet hat. Die Ministerinnen Nancy Faeser und Lisa Paus präsentierten den schockierenden Bericht, um Entschlossenheit zu demonstrieren. Gewalt gegen Frauen soll viel stärker bekämpft werden. 

Doch angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, ob Absichtserklärungen und vereinzelte Maßnahmen ausreichen, um dem Ernst der Lage gerecht zu werden. Die geplanten Schritte wie Fußfesseln für Gewaltverbrecher und verpflichtende Täterarbeit sind zweifellos wichtig und längst überfällig. Allerdings bleibt unklar, wie schnell diese Maßnahmen tatsächlich gesetzlich verankert werden – eine Frage, die Innenministerin Faeser offenließ. Dass es hierzulande gefährlich sein kann, eine Frau zu sein, ist schon länger bekannt. Faeser und Familienministerin Paus haben sich den Feminismus auf die Fahnen geschrieben – und taten wenig. 

So soll das Gewalthilfegesetz zwar nächste Woche durch das Kabinett gehen, doch die geschrumpfte Ampel-Koalition hat keine Mehrheit mehr im Parlament. Und die Finanzierung zusätzlicher Frauenhäuser ist bestenfalls eine vage Perspektive. Dabei mahnt die Realität längst zur Eile: Der Bedarf an Schutzräumen und Beratungsstellen übersteigt das bestehende Angebot bei weitem.

Laut EU-Vorgaben müsste Deutschland die Zahl der Frauenhäuser verdoppeln oder gar verdreifachen. Stattdessen hören wir von Blockaden seitens des ehemaligen Finanzministers Christian Lindner und langwierigen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern – indessen jeden Monat im Schnitt rund 4400 Sexualstraftaten gegen Mädchen und Frauen verübt werden.

In vielen Länder gilt das Prinzip "Nur Ja heißt Ja" - aber nicht in Deutschland 

Während die Politik bei strukturellen Maßnahmen zur Gewaltprävention zaudert, versucht man, medial auf das Thema sexuelle Gewalt aufmerksam zu machen. So soll die Kampagne „Nein heißt Nein“ an diesem Mittwoch im Fernsehen starten. Zwar setzt sie ein wichtiges Zeichen. Aber warum bleibt die Bundesregierung hier hinter modernen Standards zurück?

In vielen Ländern gilt längst das Prinzip „Nur Ja heißt Ja“. Dieser Ansatz setzt auf klare Zustimmung beim Sex und würde auch hierzulande eine dringend benötigte Änderung im gesellschaftlichen Bewusstsein vorantreiben. Dass Deutschland stattdessen auf den defensiveren Slogan setzt, zeigt, wie tief patriarchale Denkmuster noch verankert sind. 

Die Betroffenen von Gewalt brauchen keine symbolischen Aktionspläne oder langfristige Pilotprojekte. Sie brauchen jetzt Schutz, Beratung und eine Politik, die mit Entschlossenheit handelt.

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