Gauweiler und Lafontaine am Nockherberg: Die Zwei-Mann-Show

MÜNCHEN - Verkehrte Welt am Nockherberg: Für einen Abend machen CSU und Linke gemeinsam Wahlkampf. Der Münchner Platzhirsch und der Parteichef der Linken bescheren sich einen anregenden Abend. Und es zeigt sich: So weit liegen beide Seiten gar nicht auseinander.
Schon am Eingang zum großen Saal stehen Wahlkampfhelfer von Links und Rechts einträchtig beeinander und verteilen Prospekte. Wenig später setzt sich im Saal die ungewöhnliche Kooperation nahtlos fort: Zu Marschmusik vom Band betreten Oskar Lafontaine und Peter Gauweiler fast schon Hand in Hand den Saal. Hier linke Wahlkampfhelfer in roten Westen, dort das CSU-Establishment aus Stadträten und Landtagsabgeordneten. Alles vermischt sich an diesem Dienstag Abend bei dem gemeinsamen Wahlkampfauftritt des Linksparteichefs und des CSU-Bundestagsabgeordneten im Paulanerkeller.
Aber nicht zu gleichen Teilen: „80 Prozent CSU, 20 Prozent wir“, schätzt ein Aktivist von der Linken. Angesichts der Umstände für beide Seiten kein schlechter Schnitt. Gleich zu Beginn begrüßt Gauweiler Lafontaine „in der Höhle des Löwen“. Und es gibt donnernden Applaus, so viel, dass Gauweiler im Scherz dazwischen geht: „San da vielleicht a paar CSUler aa no da?“
So geht es den ganzen Abend über: Ob Beteiligung an Auslandseinsätzen, Kritik am Finanzsystem, Erstarrung des Parteiensystems: Gauweiler und Lafontaine sind sich in so vielem einig, dass die Grenzen von Rechts und Links am Nockherberg stark verschwimmen. „Ich möchte jetzt bei den Punkten, wo Oskar Lafontaine mir ausdrücklich Recht gegeben hat, nicht widersprechen“ – mit diesem Satz bringt Gauweiler ironisch die Stimmung auf den Punkt. Und gäbe es nicht mitunter Reizthemen wie die Atomkraft, die Gauweiler befürwortet, dann wäre es schon fast eine Überdosis an Harmonie. „Endlich ein Gegensatz“, stöhnt Gauweiler mit gespielter Erleichterung auf.
Und weiter geht es im Programm: Gauweiler greift die Banker an, vor allem die der Deutschen Bank: Viel zu wenig Kontrolle und aus dem Ruder laufende Praktiken bescheinigt der CSU-Mann der Branche. Boni, „frisierte Gewinne, die nur auf irgendeinem Löschpapier stehen“ – während sich Gauweiler in Rage redet, lächelt Lafontaine freundlich zustimmend.
Die Banken als Feind
„Es war ein Fehler, dass wir den Shareholder Value eingeführt haben und diese ganze angelsächsische Denke“, ruft Gauweiler in den Saal. Und Lafontaine traut möglicherweise seinen Ohren nicht. Doch gottlob erkennt er gleich den Gegner wieder, als Gauweiler „Steuersenkungen für die Leistungsträger“ das Wort redet.
Und dann spricht wieder Lafontaine, vom „Skandal der deutschen Politik“: dass es die Banken seien, die in Deutschland die Finanzgesetze bestimmten, und nicht die Politiker. Gauweiler macht einen Gesichtsausdruck, der wohl finstere Zustimmung signalisiert. Und dann sprühen doch gleich wieder die Funken auf dem Podium, als Lafontaine Merkel scharf angreift und ihr Nichtstun in der Finanzkrise vorhält. Lafontaine redet sich heiß und bekommt viel Applaus. Und als er eine kurze Kunstpause macht, riskiert er einen schnellen Blick hinüber zu Gauweiler: Entschuldige, Kumpel, bedeutet dieser Blick: Das musste jetzt sein.
Es liegt ein Hauch von Uni-Teach-In im mit 1000 Zuhörern völlig überfüllten Festsaal. Menschen stehen an den Saalrändern in dichten Trauben oder kauern vorne vor dem Podium. Es geht turbulent zu, es gibt Buhs und Zwischenrufe und viele spontane Einlagen, es gibt Anfeuerung und Gejohle. Beide legen sich ins Zeug, das Bier fließt, im Saal wird‘s immer heißer. Die Stimmen werden heiser und die Applaussalven aus dem Saal immer feuriger. Den beiden Schlachtrössern auf dem Podium gefällt das sichtlich. Je turbulenter es im Saal zugeht, desto engagierter werfen Gauweiler und Lafontaine immer noch einen Scheidt ins Feuer und heizen die Stimmung an.
Auch Hamm-Brücher ist zufrieden
Und so gewinnen die beiden großen Populisten an diesem Abend auch im jeweils anderen Lager spürbar Freunde dazu. Um dem noch eins drauf zu setzen, sitzt vorne in der ersten Reihe die FDP-Legende Hildegard Hamm-Brücher und klatscht beiden Seiten freundlich Beifall – auch als Lafontaine sagt, dass die Programme aus den Anfangszeiten der FDP identisch seien mit dem, was heute die Linke fordert.
Am Ende wird‘s dann regelrecht philosophisch: Wenn es eine Erkenntnis aus dem 20. Jahrhundert gibt, dann die, dass ein Mensch nie ganz rechts und nie ganz links sein kann“, sinniert Gauweiler: „Sondern, dass diese beiden Seiten sich jeweils auch ergänzen“. So löst sich am Ende ein Gegensatz auf, der ohnehin keiner war. Und Lafontaine lächelt weise. Und dann sagt Gauweiler noch: „Wir kommen wieder.“
Frank Müller