Gaucks starke Antrittsrede: Klare Worte gegen Rechts

Parteien loben Gauck für seine Mut-und-Vertrauen-Rede  – FDP freut sich über einen „Präsidenten der Freiheit“ – Gabriel: Beste Rede im Bundestag
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Bundespräsident Joachim Gauck (r) nimmt am Freitag (23.03.2012) im Bundestag in Berlin nach seiner Vereidigung Applaus entgegen.
dpa Bundespräsident Joachim Gauck (r) nimmt am Freitag (23.03.2012) im Bundestag in Berlin nach seiner Vereidigung Applaus entgegen.

Berlin - Der neue Bundespräsident Joachim Gauck hat für seine Antrittsrede parteiübergreifendes großes Lob erhalten. Darin hatte Gauck am Freitag mehr Mut der Deutschen gefordert und zu mehr Vertrauen aufgerufen. Zugleich kündigte er an, die Themen Freiheit und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt seiner fünfjährigen Amtszeit rücken zu wollen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier (CDU), zeigte sich überzeugt, dass Gauck „ein politischer Präsident“ sein werde. „Es war eine sehr ermutigende, eine sehr optimistische Rede“, sagte er. Zugleich erinnerte Altmaier an Gaucks Dank an dessen Vorgänger Wulff und die Versicherung, dass der neue Bundespräsident das Anliegen der Integration weitertragen wolle.

FDP-Chef Philipp Rösler nannte Gaucks Antrittsrede eine „großartige Rede“. Gauck sei ein Mann der Freiheit und „jetzt ein Präsident der Freiheit“. Darüber könne sich ganz Deutschland Freude. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle ergänzte, die Rede sei beeindruckend gewesen. „Ich verspreche mir von seiner Arbeit, dass er die Menschen ermuntert, dabei zu sein, mitzumachen und sich einzubringen.“

Auch Opposition sehr zufrieden mit Gauck

Euphorisch äußerte sich SPD-Chef Sigmar Gabriel: „Das war die beste Rede, die ich bislang hier im Deutschen Bundestag gehört habe. Ich kann mich nicht an jemanden erinnern, der mal so klar und deutlich dem Land Mut gemacht hat, aber auch Ziel und Richtung unseres Landes gewürdigt hat“, sagte er. Die Sozialdemokraten seien „ein bisschen stolz, dass wir geholfen haben, ihn durchzusetzen“.

Linksfraktionschef Gregor Gysi hob vor allem das Bekenntnis von Gauck zur sozialen Gerechtigkeit hervor. „Ich fand seine Rede in mancher Hinsicht bemerkenswert. Er hat der Frage der sozialen Gerechtigkeit eine Aufmerksamkeit geschenkt, wie bisher noch nie im Leben“, sagte er. Zugleich habe er sich über die klaren Worte zum Rechtsextremismus Freude. Schade sei nur, dass sich Gauck nicht mit einen Satz zur Linken-Gegenkandidatin Beate Klarsfeld geäußert habe.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast zeigte sich erfreut, dass Gauck einen großen Rahmen für die kommenden fünf Jahre seiner Amtszeit abgesteckt habe. „Er redet nicht nur über das, was schon gelungen ist, sondern hilft uns auch, dass wir noch weitere Erfolge haben“, sagte sie. Ko-Fraktionschef Jürgen Trittin fügte hinzu: „Ich habe am heutigen Tag festgestellt, wir haben einen guten Bundespräsidenten.“

 


Lesen Sie hier Gaucks Rede

   „Herr Präsident des Deutschen Bundestages, meine sehr verehrten
Damen und Herren, liebe verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger aus dem
In- und Ausland.

   Zunächst Ihnen, Herr Präsident, meinen allerherzlichen Dank für
die unnachahmliche Führung dieser Sitzung und für das leuchtende
Beispiel ... in unser Land hinein, dass Politik Freude machen kann.

   Herr Bundesratspräsident, Sie haben Worte gefunden, die bei mir
und sicher auch beim Bundespräsident Wulff ein tiefes und
nachhaltiges Echo hinterlassen haben, ich danke Ihnen.

   Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ja, wie soll es denn nun
aussehen dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel einmal sagen
sollen: unser Land? Geht die Vereinzelung in diesem Land weiter? Geht
die Schere zwischen Arm und Reich weiter auf? Verschlingt uns die
Globalisierung? Werden Menschen sich als Verlierer fühlen, wenn sie
an den Rand der Gesellschaft geraten? Schaffen ethnische oder
religiöse Minderheiten in gewollter oder beklagter Isolation
Gegenkulturen? Hat die europäische Idee Bestand? Droht im Nahen Osten
ein neuer Krieg? Kann ein verbrecherischer Fanatismus in Deutschland
wie in anderen Teilen der Welt weiter friedliche Menschen bedrohen,
einschüchtern und ermorden?

   Jeder Tag, jede Begegnung mit den Medien bringt eine Fülle neuer
Ängste hervor und Sorgen. Manche ersinnen dann Fluchtwege, misstrauen
der Zukunft, fürchten die Gegenwart. Viele fragen sich, was ist das
eigentlich für ein Leben, was ist das für eine Freiheit. Mein
Lebensthema Freiheit ist dann für sie keine Verheißung, kein
Versprechen, sondern nur Verunsicherung. Ich verstehe diese Reaktion.
Doch, ich will ihr keinen Vorschub leisten.

   Ängste, so hab ich es gelernt in einem langen Leben, Ängste
vermindern unsern Mut wie unser Selbstvertrauen – und manchmal so
entscheidend, dass wir beides ganz und gar verlieren können, bis wir
gar Feigheit für Tugend halten und Flucht für eine legitime Haltung
im politischen Raum. Stattdessen, wenn ich das nicht will, will ich
meine Erinnerung als Kraft und Kraftquelle nutzen, mich und uns zu
lehren und zu motivieren.

   Ich wünsche mir also eine lebendige Erinnerung auch an das, dass
in unserem Land nach all den Verbrechen der nationalsozialistischen
Diktatur, nach den Greueln des Krieges gelungen ist. In Deutschlands
Westen trug es, dieses Gelungene als erstes den Namen
Wirtschaftswunder. Deutschland kam wieder auf die Beine. Die
Vertriebenen, gar die Ausgebombten erhielten Wohnraum, nach Jahren
der Entbehrung nahm der Durchschnittsbürger teil am wachsenden
Wohlstand. Freilich, nicht jeder im selben Maße.

Gauck lobt 1968er Generation =

Allerdings sind für mich die Autos, und die Kühlschränke und all
der neue Glanz einer neuen Prosperität nicht das Wunderbare jenes
Jahrzehnts. Ich empfinde mein Land, vor allem als ein Land des
Demokratiewunders. Anders als die Alliierten es damals nach dem
Kriege fürchteten, wurde der Revanchismus im Nachkriegs-Deutschland
nie mehrheitsfähig. Es gab schon ein Nachwirken
nationalsozialistischer Gedanken, aber daraus wurde keine wirklich
gestaltende Kraft. Es entstand stattdessen eine stabile demokratische
Ordnung. Deutschland West wurde Teil der freien westlichen Welt.

   Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in dieser Zeit
blieb allerdings defizitär. Die Verdrängung eigener Schuld, die
fehlende Empathie mit den Opfern des Nazi-Regimes prägte den
damaligen Zeitgeist. Erst die 68er-Generation hat das nachhaltig
geändert. Damals war meine Generation konfrontiert mit dem tief
schwarzen Loch der deutschen Geschichte, als die Generation unserer
Eltern sich mit Hybris, Mord und Krieg gegen unsere Nachbarn im
Inneren wie im Äußeren vergingen. Es war und blieb das Verdienst
dieser Generation, der 68er, es war ein mühsam errungener Segen, sich
neu, anders und tiefer erinnern zu können. Trotz aller Irrwege, die
sich mit dem Aufbegehren der 68er auch verbunden haben, haben sie die
historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt.

   Diese, auf Fakten basierende und an Werten orientierte
Aufarbeitung der Vergangenheit wurde nicht nur richtungsweisend für
uns nach 1989 in Ostdeutschland. Sie wird auch als beispielhaft von
vielen Gesellschaften empfunden, die ein totalitäres oder
despotisches Joch abgeschüttelt haben und nicht wissen, wie sie mit
der Last der Vergangenheit umgehen sollen.

   Das entschlossene Ja der Westdeutschen zu Europa ist ein weiteres
kostbares Gut der deutschen Nachkriegsgeschichte, ein Erinnerungsgut,
das uns wichtig bleiben sollte. Konrad Adenauer, Kanzler des Landes,
das eben noch geprägt und dann ruiniert war vom Nationalismus, wird
zu einem der Gründungsväter einer zukunftsgerichteten europäischen
Integration – Dankbarkeit und Freude.

   Sowie später, 1989, dieser nächste Schatz in unserem
Erinnerungsgut. Da waren die Ostdeutschen zu einer friedlichen
Revolution imstande, zu einer friedlichen Freiheitsrevolution. Wir
wurden das Volk und wir wurden ein Volk. Und nie vergessen, vor dem
Fall der Mauer mussten sich die vielen ermächtigen. Erst wenn die
Menschen aufstehen und sagen, wir sind das Volk, werden sie sprechen
können, wir sind ein Volk, werden die Mauern fallen.

 

 

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