Gauck: „Die wissen schon, was sie an mir haben“

Im Landtag beeindruckt Joachim Gauck mit Selbstbewusstsein nicht nur Rote und Grüne. Da konnte er noch nicht ahnen, dass sein Besuch in München so katastrophal endet.
MÜNCHEN Einen hat er schon umgestimmt. Dabei macht er „gar keinen Wahlkampf“, sagt Joachim Gauck. Doch sein Auftritt im Landtag bleibt auch politisch nicht ohne Folgen: „Ich werde für ihn stimmen“, sagt Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler. Ein feines Lächeln huscht über das Gesicht des Kandidaten. Da konnte er noch nicht ahnen, dass sein Besuch in München so katastrophal endet.
Die München-Visite des gebürtigen Rostockers schien die Reihe seiner Erfolgserlebnisse fortzusetzen: „Es ist eigentümlich“, sagt der Gast in den gut gefüllten Plenarsaal: „So viel Zuspruch bekommen sonst nur Beckenbauer oder Ballack.“
Das ist doch etwas übertrieben, aber Markus Rinderspacher und Margarete Bause, die Fraktionschefs der SPD und der Grünen im Landtag, Freude sich. Schließlich konnten sich die Oppositionsführer sonnen im Glanz eines Mannes, der die Politik in den nächsten Tagen nachhaltig verändern könnte, dem man im Falle seiner Wahl zum Bundespräsidenten kommenden Mittwoch sogar zutraut, die Regierung zu stürzen.
„Meine Kandidatur richtet sich gegen niemanden“, sagt Gauck, der sich seine Zustimmungswerte angeblich selbst nicht erklären kann: „Ich kann ja die Euphorie für Lena verstehen“, sagt Gauck, aber die Begeisterung für „einen 70-Jährigen, der nicht mal Facebook aufmachen kann“, die sei ihm rätselhaft.
Koketterie und ein Hauch Eitelkeit sind ihm nicht fremd. Schon sein Amt als Stasi-Unterlagen-Beauftragter hat Gauck mit Sinn für Öffentlichkeit ausgefüllt – und damit seine Wahlchancen bei den SED-Erben ruiniert.
Das Besondere aber ist, dass sich der freundliche Herr mit dem gewellten Haar nicht stilisiert. Er ergeht sich nicht in Posen, und er lockt seine Zuhörer in nachdenkliche Bereiche jenseits der Tagespolitik: „Die Ermächtigung des Einzelnen“ sei sein Thema, sagt Gauck, der einen überbordenden Sozialstaat ablehnt. „Fürsorge ist ein schönes, ein christliches Wort“, sagt der ehemalige Pfarrer: „Aber Fürsorge darf nicht etwas sein, das der Landesfürst gibt und das Landeskind nimmt. Diese Abhängigkeit gefällt mir nicht.“
Auch in München wird klar, warum Gauck bei Konservativen geachtet ist und warum er für seine rot-grünen Erfinder kein einfacher Repräsentant sein könnte: „Ich bin eher für das Prinzip Fordern und Fördern“, sagt er, was manchen Sozi zusammenzucken lässt. Als Schröders Hartz-IV-Motto gehört der Spruch fast zu den sozialdemokratischen Unwörtern.
Doch die Harmonie soll nichts stören, im Saal sind fast nur die Vertreter von Rot-Grün gekommen: Die CSU hat gegenüber Fraktionssitzung. Man kennt sich vom Wegsehen. Landtagspräsidentin Barbara Stamm beweist militantes Desinteresse. „Wer ist da? Der Gauck, den kenn ich schon“, sagt sie.
Kränkt den Kandidaten die Nichtachtung? „Nein“, sagt er: „Die Konservativen kennen meine Freiheitsliebe, die brauchen nicht mehr zu kommen.“ Und: „Die wissen schon, was sie an mir haben.“ Das Selbstbewusstsein ist echt, ob es sich in Erfolg umsetzen lässt, bezweifeln auch Optimisten: „Das käme einer Sensation gleich“, sagt Franz Maget: „Und die Wahlmänner des Regierungslagers wissen, worum es geht: Das sind alles Profis.“ Andererseits hat die Krise ihre eigenen Gesetze.
Und Heinrich Oberreuter, der eigentlich CSU-nahe Politik-Professor aus Passau, der die Veranstaltung moderiert, ist sich sicher: „Wenn Gauck gewählt wird, gebe ich der Regierung Merkel keine 24 Stunden mehr.“ Matthias Maus