Gas und Atom grün? EU-Kommission kurz vor Taxonomie-Entscheidung

Straßburg - Die Gegner der Taxonomie mobilisierten noch einmal alle Kräfte vor dem heutigen Mittwoch, der ein spannender Tag im sonst eher von Konsens getriebenen Europäischen Parlament zu werden verspricht. Immerhin, es kommt zur entscheidenden Abstimmung über das umstrittene Gesetz.
Was ist nachhaltig, was wird politisch gefördert und finanziell unterstützt?
Der Name Taxonomie - in Brüssel ist spöttisch vom "T-Wort" die Rede - klingt zwar weder aussagekräftig noch besonders sexy, aber dahinter steckt so etwas wie eine grüne Bibel für Anleger.
Der Kriterienkatalog definiert, welche Geschäftstätigkeiten als nachhaltig ausgewiesen werden, die Investitionen können dann entsprechend politisch gefördert und finanziell unterstützt werden. Nun will die EU auch Investitionen in neue Atom- und Gaskraftwerke in Europa als klimafreundlich erklären.
WWF: "Die Erdgas-Leitung Nord Stream 2 liegt als tonnenschweres Mahnmal in der Ostsee"
Oder verklären, wie Kritiker schimpfen. "Nicht unsere Taxonomie" betitelten fünf Politiker verschiedener Couleurs eine Pressekonferenz in Straßburg. Bis zur letzten Minute versuchten zahlreiche Europaabgeordnete, Kollegen von einem Nein beim heutigen Votum zu überzeugen. Klimaaktivisten und Umweltorganisationen warben lautstark für den Widerstand.
"Die Erdgas-Leitung Nord Stream 2 liegt als tonnenschweres Mahnmal in der Ostsee", hieß es vom WWF. Vor wenigen Wochen schien der Kampf aussichtslos. Denn im Kreis des Rats wird das Dossier weitestgehend unterstützt. Mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die zusammen 65 Prozent der Gesamtbevölkerung in der EU repräsentieren, müssten Einspruch gegen den Öko-Stempel erheben, um ihn noch zu verhindern - ein Szenario, das als ausgeschlossen gilt.
Der Krieg in der Ukraine hat der Debatte zuletzt eine neue Dynamik verliehen. Mehr und mehr Abgeordnete sprachen sich gegen die Maßnahme aus. Ihre Begründung: Grüne Labels für Gaskraftwerke würden auch mehr Bezüge des fossilen Brennstoffs aus Russland bedeuten. Die Kommission wehrte sich gegen das Argument und verwies stattdessen darauf, dass man sich bereits von russischer Energie abgewandt habe und in Form von LNG-Deals, etwa mit den USA, um alternative Märkte bemühe.
Europa-SPD: "Ein Aufwerten der Kernkraft kommt einem waschechten Greenwashing gleich"
Trotzdem schöpften Kritiker Hoffnung. Man habe etwa 290 Europaparlamentarier, die dagegen votieren wollen, sagte der Grünen-Politiker Michael Bloss. Das aber wäre nicht genug. Die erforderliche Mehrheit beträgt im 705 Sitze zählenden Abgeordnetenhaus 353 Stimmen.
"Vor dem Hintergrund des europäischen Klima- und Umweltschutzpakets Green Deal käme ein Aufwerten der Kernkraft einem waschechten Greenwashing gleich", moniert auch Joachim Schuster, finanzpolitischer Sprecher der Europa-SPD.
Die Frage, ob man Gas und Kernenergie noch eine Weile als Brückentechnologien brauche, sei unbestritten, sagte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Aber ihnen auch noch ein Nachhaltigkeitslabel verpassen? "Da sollte die Antwort 'Nein' lauten."
Am Mittwoch wird abgestimmt.