Ganz viel Merkel, ein bisschen Gabriel: 35.812 gefällt das

München, Berlin - Die Zahl in der Überschrift – Stand: heute 19 Uhr – dürfte inzwischen bereits veraltet sein. Jede Stunde versehen mehrere Hundert Menschen die neue Facebook-Seite der Bundesregierung mit einem „Gefällt mir“, werden dadurch automatisch auf dem Laufenden gehalten. Wir haben uns die Präsenz, die seit Freitag online ist, im Detail angeschaut.
Idee
Rund 28 Millionen Deutsche sind bei Facebook registriert. Über das Soziale Netzwerk will sich die Regierung ohne Umwege, ohne Journalisten-Filter und ohne Platzbeschränkung direkt an die Bürger wenden. Steffen Seibert, Regierungssprecher und früher Reporter und Moderator beim ZDF, versichert, Facebook sei „etwas Zusätzliches“. Er teile Journalisten in Pressekonferenzen „weiterhin gern alles mit, was sie wissen wollen“. Das ist nett.
Themen
Ukraine-Konflikt, Entwicklungshilfe, Freihandelsabkommen, Schuldenkrise, Impfdebatte – die Betreiber der Seite bemühen sich um ein möglichst breites Themenspektrum. Klappt bislang ganz gut.
Allein Papst Franziskus ist in den ersten Tagen etwas überrepräsentiert, sodass manche User schon verärgert fragen, ob es sich um die Facebook-Präsenz des Vatikans handelt. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den Papst besucht, kommt andererseits auch äußerst selten vor.
Fotos
Steinmeier weiht eine Landebahn in Ost-Kongo ein, Merkel sitzt im Büro von Papst Franziskus, Gauck zündet eine Kerze in Kiew an, Bundeskanzlerin Angela Merkel begutachtet Computerchips bei Siemens – die Fotos sind gut ausgewählt, exklusives Bildmaterial findet sich allerdings nur selten auf der Seite. Fast alle Aufnahmen laufen so oder ähnlich über die gängigen Nachrichtenagenturen und sind auch auf den Seiten vieler Tageszeitungen zu sehen.
Videos
17 Sekunden Landeanflug auf Rom, 30 Sekunden Merkel in den Uffizien von Florenz, 44 Sekunden Ankunft im Apostolischen Palast: Die Regierung zeigt auf Facebook keine glattgebügelten PR-Videos, sondern kurze, semiprofessionelle Mini-Sequenzen, die interessante Einblicke in den Regierungsalltag liefern.
Der Nachrichtenwert ist dabei überschaubar, lange Filme will auf Facebook aber auch niemand sehen. Dafür gibt es andere Plattformen.
Tonfall
Viele Unternehmen duzen die User auf Facebook, die Bundesregierung bleibt lieber beim förmlichen „Sie“. Kann man verstehen – wer lässt sich schon gerne von seiner Regierung duzen? Das Team wechselt zwischen locker-lässigem Tonfall („Angekommen!“) und eher staatstragenden Passagen („Präsident Kagame und Steinmeier tauschten sich auch über den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen aus“), vor allem bei der sensiblen Außenpolitik. Insgesamt geglückt.
Ausgewogenheit
Die große Merkel-Show? Ja! Außenminister Frank-Walter Steinmeier erhält ebenfalls viel Raum. In Zahlen: 14 Posts befassen sich mit CDU/CSU-Ministern (inklusive Kanzlerin), in fünf geht es um die SPD.
Die Opposition spielt keine Rolle – gehört aber nunmal auch nicht zur Bundesregierung. Wobei: Warum nicht auch mal kritische Nachfragen von Grünen, FDP, Linken thematisieren? Wäre souverän.
Dialog
Der unterhaltsamste Teil der Seite. Unter jedem Beitrag können Facebook-Benutzer kommentieren; wird die Bundesregierung direkt angesprochen, antwortet das Team. Höflich und professionell.
Ein Beispiel: Unter Merkels Besuch bei Siemens fragt ein User namens Mario Möller: „Hat sie denn nichts Wichtigeres zu tun?!“. Und erhält die Antwort: „Guten Abend Mario Möller, was wäre denn Ihrer Ansicht nach wichtiger als die zukünftige Sicherung von Arbeitsplätzen? Gespannte Grüße aus der Redaktion.“
Daraufhin hadert Herr Möller sehr grundsätzlich mit der Automatisierung des Arbeitslebens. Die Bundesregierung schaltet sich nicht mehr ein, aber eine lebhafte Debatte unter den Usern entsteht.
Auch konkrete Fragen werden beantwortet: Marco Löffler will um 21.38 Uhr wissen, wann die Verhandlungen in Sachen TTIP abgeschlossen sind. Um 23.06 Uhr antwortet das Team, dass sich das nicht vorhersagen lässt und wann die nächste Verhandlungsrunde stattfindet (im April).
Trolle
Ein Phänomen auf fast jeder Internetseite sind User, die aus reiner Lust an der Provokation agieren, so genannte Trolle. Hier reagiert das Facebook-Team der Bundesregierung schlagfertig und mit Humor.
Derzeit ein Dauerproblem: Fragen zur Ukrainekrise werden unter alle möglichen Beiträge gepostet, auch wenn es oben um Masern oder den Ost-Kongo geht. Nervig, aber nicht zu ändern.
Hier postet das Team inzwischen eine Standardantwort („Wir möchten hier eine konstruktive und sachliche Diskussion führen. Kommentare zu den veröffentlichten Inhalten sind ausdrücklich erwünscht, themenfremde Beiträge, Links oder Kommentare nicht. Vielen Dank für Ihr Verständnis“).
Beleidigende Posts werden gelöscht, strafrechtlich relevante Inhalte – wie Morddrohungen – ebenfalls (und nach eigenen Angaben an die Polizei weitergeleitet).
Fazit
„Das Internet ist für uns alle Neuland“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor kurzem formuliert – und dafür viel Spott geerntet. Für die Facebook-Präsenz ist Lob fällig. Das Redaktionsteam leistet gute Arbeit.
Fraglich ist, ob Tempo und Schlagzahl gehalten werden können – insbesondere bei der Beantwortung der Kommentare, die schon bei gerade einmal 36 000 Likes enorme Ausmaße annehmen. Wie wird es bei 500 000?
Ein Portion gesunder Skepsis – generell im Internet zu empfehlen, aber natürlich auch bei gedruckten Publikationen – schadet beim Besuch der Bundesregierungs-Seite nicht: Hier informiert keine neutrale Instanz über Politik, sondern eine Regierung über ihr Tun – und will dies natürlich in möglichst positivem Licht erscheinen lassen.
Legitim. Die Opposition ist ja ebenfalls auf Facebook vertreten.