Gaddafi vor dem Ende - Kämpfe in Tripolis
Tripolis/Istanbul/Berlin - Rebellenkämpfer lieferten sich am Montag mit Regierungstruppen zwar noch Gefechte um die Residenz Gaddafis, bis Dienstag wollen sie die Hauptstadt aber ganz unter ihre Kontrolle bringen. Wo Gaddafi sich aufhält, blieb weiter offen. Die internationale Gemeinschaft forderte ihn auf, sich zu ergeben.
Nach dem Sturz Gaddafis könnten in Libyen auch deutsche Soldaten zum Einsatz kommen. Die Bundesregierung versprach, eine Beteiligung der Bundeswehr "konstruktiv" zu prüfen, falls es eine internationale Friedensmission geben sollte. Außenminister Guido Westerwelle sagte großzügige Hilfe beim Wiederaufbau zu - ebenso wie die EU, China und andere Staaten. Dazu soll auch rasch das Milliardenvermögen des Gaddafi-Regimes freigegeben werden, das auf Konten im Ausland liegt - allein in Deutschland mehr als sieben Milliarden Euro.
Der Übergangsrat der Rebellen bereitet sich darauf vor, von Bengasi nach Tripolis umzuziehen. "Heute beginnt in Libyen eine neue Ära", erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Sie forderte den Übergangsrat Libyens zur Achtung der Menschenrechte beim Wiederaufbau des Landes auf.
Der Verbleib von Gaddafi war zunächst völlig unklar. "Niemand weiß, wo Gaddafi ist", sagte der Vorsitzende des nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, dem TV-Sender Al Arabija. Auf einer Pressekonferenz in der Rebellenhochburg Bengasi versicherte er, man hoffe, Gaddafi lebend gefangenzunehmen. Die Welt solle Zeuge eines Prozesses gegen den Diktator werden. Spekulationen, wonach Gaddafi um Asyl in Südafrika gebeten habe, wurden in Johannesburg energisch dementiert.
Zwei Söhne des Despoten waren bereits am Sonntagabend in Tripolis festgenommen worden, ein dritter wurde unter Hausarrest gestellt. Der Internationale Strafgerichtshof verhandelte am Montag mit den Rebellen über eine Überstellung von Gaddafi-Sohn Saif al-Islam. Der argentinische Chefankläger Luis Moreno-Ocampo erklärte, er hoffe, dass auch Gaddafi sowie dessen Schwager, Geheimdienstchef Abdullah Senussi, verhaftet werden.
Gegen alle drei liegen internationale Haftbefehle wegen schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Der nationale Übergangsrat in Bengasi ließ aber bereits wiederholt erkennen, dass er Gaddafi und seinen Leuten lieber in Libyen den Prozess machen möchte.
Nach übereinstimmenden Berichten internationaler Sender gab es am Montag noch schwere Gefechte rund um das Hauptquartier und die Residenz Gaddafis in Bab Al-Asisija in Tripolis. Dort leisteten die Gaddafi-Milizen, unterstützt von Panzern, erbitterten Widerstand.
Die Rebellen erhielten weitere Verstärkung - aus ihrer östlich gelegenen Hochburg Misrata seien mehr als 1000 Bewaffnete nach Tripolis vorgestoßen, berichteten sie. "Heute ist der Tag der Entscheidung", sagte der Militärsprecher der Aufständischen in Bengasi, Ahmed al-Bani, der Nachrichtenagentur dpa in einem Telefoninterview. Die Niederlage der Truppen Gaddafis sei unabwendbar.
Wegen der Hoffnung auf ein schnelles Ende des Konflikts im Ölförderland Libyen sanken am Montag die Ölpreise weiter. Libyen ist Mitglied der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) und musste die Ölförderung wegen des Bürgerkriegs in den vergangenen Monaten zeitweise einstellen.
US-Präsident Barack Obama sieht Libyen vor dem Wendepunkt. Tripolis entgleite dem "Griff eines Tyrannen", das Regime zeige Anzeichen des Zusammenbruchs, erklärte Obama am Sonntagabend (Ortszeit) nach einer Mitteilung des Weißen Hauses in Washington. Aus den Szenen in Tripolis sei ersichtlich, "dass das Ende für Gaddafi nahe ist", heißt es in einer Erklärung des britischen Premiers David Cameron.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy lud den Vorsitzenden der libyschen Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, für Mittwoch nach Paris ein. Er rief das libysche Volk zur Versöhnung und zur Einheit auf. Außenminister Alain Juppé kündigte ein Treffen der Libyen-Kontaktgruppe in Paris in der kommenden Woche an.
Auch die Nato rechnet mit einem schnellen Ende des Regimes. "Heute können wir anfangen, eine neue Zukunft aufzubauen", erklärte Nato- Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in der Nacht zum Montag in Brüssel. Er forderte Gaddafi und seine Truppen auf, die Macht abzugeben. Russland warnte angesichts des nahenden Endes von Gaddafi vor zu viel Euphorie. "Die Revolutionserfahrung lehrt, dass es schwerer ist, die Macht zu halten, als sie zu erobern", sagte der Libyen-Beauftragte des russischen Präsidenten, Michail Margelow.
Offen ist noch, ob es in Libyen nach dem Ende von mehr als vier Jahrzehnten Gaddafi-Herrschaft eine internationale Friedensmission geben wird. Zu deren Aufgaben könnte zum Beispiel die Absicherung von humanitärer Hilfe gehören. Verteidigungsminister Thomas de Maizière versprach dazu in der "Rheinischen Post": "Wenn es Anfragen an die Bundeswehr gibt, werden wir das konstruktiv prüfen, wie wir das immer tun."