Suu Kyi appelliert: Dürfen Militärputsch nicht hinnehmen

In Myanmar werden bittere Erinnerungen an die Vergangenheit wach: Nach einem zaghaften Demokratisierungsprozess hat sich das Militär zurück an die Macht geputscht. Die frühere Freiheitsikone Aung San Suu Kyi will das nicht hinnehmen.
dpa |
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Soldaten sperren eine Straße in der Hauptstadt Naypyitaw.
Soldaten sperren eine Straße in der Hauptstadt Naypyitaw. © Uncredited/AP/dpa
Naypyidaw

In Myanmar hat das Militär die Kontrolle übernommen und die zivile Führung um die faktische Regierungschefin Aung San Suu Kyi entmachtet. In dem südostasiatischen Land wurde ein einjähriger Ausnahmezustand verhängt.

In der Nacht hatte die Armeeführung die frühere Freiheitsikone Suu Kyi und den Staatspräsidenten Win Myint sowie weitere ranghohe Politiker festsetzen lassen, wie Myo Nyunt, ein Sprecher der Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD), der Deutschen Presse-Agentur bestätigte.

Ob die Politiker festgenommen oder unter Hausarrest gestellt wurden, war zunächst unklar. Suu Kyi forderte die Bevölkerung aber in einer auf Facebook veröffentlichten Erklärung auf, den Militärputsch nicht hinzunehmen. Die Machtübernahme der Armee zeige keinerlei Respekt für die Corona-Pandemie und ziele nur darauf ab, das Land wieder unter eine Militärdiktatur zu stellen. "Die Öffentlichkeit ist dazu aufgerufen, sich dem Militärputsch voll und ganz zu widersetzen und sich entschieden dagegen zu wehren", wird die 75-Jährige zitiert.

Nach einem Putsch im Jahr 1962 stand das Land fast ein halbes Jahrhundert lang unter einer Militärdiktatur. Suu Kyi setzte sich in den 1980er Jahren für einen gewaltlosen Demokratisierungsprozess ein und wurde deshalb 15 Jahre unter Hausarrest gestellt. 1991 erhielt sie für ihren Einsatz gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit den Friedensnobelpreis. Erst seit 2011, als erstmals wieder eine zivile Regierung eingesetzt wurde, kamen zaghafte Reformen in Gang.

Jetzt steuert das Land offenbar wieder auf eine Militärherrschaft zu. Der frühere General und bisherige Vize-Präsident Myint Swe fungiere nun als Übergangsstaatsoberhaupt, hieß es am Montag im von der Armee kontrollierten Fernsehsender Myawaddy. Die eigentliche Macht liegt demnach bei Armeechef Min Aung Hlaing, der während des Notstands die oberste Befehlsgewalt innehat.

Auf den Straßen der Hauptstadt Naypyidaw und der größten Stadt Yangon patrouillierten Berichten zufolge Soldaten. Telefonleitungen und das Internet in Naypyidaw wurden zeitweise gekappt. Berichte über gewaltsame Zwischenfälle gab es zunächst nicht. Auf sozialen Netzwerken sagten zahlreiche Bürger Suu Kyi unter Hashtags wie "Wir brauchen Demokratie" und "Ablehnung für das Militär" ihre Unterstützung zu. Im Nachbarland Thailand gingen Demonstranten vor der Botschaft Myanmars auf die Straße und riefen Berichten zufolge: "Wir wollen nur Aung San Suu Kyi und niemand anderen."

Seit Tagen hatte es Gerüchte über einen bevorstehenden Militärputsch im früheren Birma gegeben. Zwischen der zivilen Regierung und dem mächtigen Militär hatte es seit längerem Spannungen gegeben wegen - bislang unbelegten - Vorwürfen des Wahlbetrugs bei der Parlamentswahl vom November. Die NLD hatte die Abstimmung klar gewonnen und eine absolute Mehrheit errungen, das Militär weigerte sich jedoch, das Ergebnis anzuerkennen. Nach den ursprünglichen Planungen hätte das neue Parlament am Montag erstmals zusammenkommen sollen.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres verurteilte die Übernahme der Regierungsmacht und Aufhebung der Gewaltenteilung durch das Militär. "Diese Entwicklungen bedeuten einen schweren Schlag für die demokratischen Reformen in Myanmar", ließ der UN-Chef über seinen Sprecher mitteilen. Die NLD habe bei der Wahl ein "starkes Mandat" des Volkes in Myanmar bekommen, das sich nach Demokratie, Frieden, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit sehne.

Ähnlich äußerten sich die Europäische Union, die USA und andere Staaten. Myanmars Nachbarland China rief zur Stabilität auf und äußerte die Hoffnung, dass "alle Seiten in Myanmar ihre Differenzen im Rahmen der Verfassung" bewältigen könnten. Human Rights Watch und andere Menschenrechtsorganisationen forderten die Freilassung Suu Kyis und anderer vom Militär festgesetzter Politiker. Die "Gesellschaft für bedrohte Völker" betonte, es drohe "ein gefährlicher Rückwärtsgang in die Geschichte". Nach zehn Jahren zaghafter Demokratisierung würden die Uhren vom Militär gewaltsam wieder zurückgestellt, erklärte GfbV-Direktor Ulrich Delius.

Die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi hatte sich bei der Parlamentswahl eine zweite Amtszeit in dem Land mit knapp 54 Millionen Einwohnern gesichert. Doch auch nach der Wahl blieb Suu Kyi auf die Kooperation mit dem Militär angewiesen. Ein Viertel der Sitze in den Parlamentskammern blieb für die Streitkräfte reserviert. So steht es in der Verfassung von 2008, die die Junta aufgesetzt hatte, um auch nach der Einleitung demokratischer Reformen nicht entmachtet zu werden.

Wegen einer anderen Klausel konnte Suu Kyi nicht Präsidentin werden, sondern regierte als Staatsrätin und somit De-Facto-Regierungschefin das frühere Birma. Ohne das Militär sind auch Verfassungsänderungen nicht möglich, zudem kontrollierte es bislang schon die wichtigsten Ministerien.

Im eigenen Land ist die Politikerin sehr beliebt. International ist sie aber mittlerweile umstritten. So sind die versprochenen demokratischen Reformen in dem buddhistisch geprägten Land bislang weitgehend ausgeblieben und Suu Kyi zeigte selbst einen immer autoritäreren Regierungsstil. Vor allem wegen der staatlichen Diskriminierung der Rohingya und ihres Schweigens zur Gewalt gegen die muslimische Minderheit steht Suu Kyi international in der Kritik.

© dpa-infocom, dpa:210201-99-247938/10

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