Frau XY - wieder ganz unten

Durch einen Pakt mit den Linken wollte sich Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Doch eine Abgeordnete aus den eigenen Reihen stoppt die SPD-Politikerin. - Das Drama von Hessen.
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"Ich werde diesen Weg nicht gehen" - Andrea Ypsilanti verzichtet auf eine Kandidatur
dpa "Ich werde diesen Weg nicht gehen" - Andrea Ypsilanti verzichtet auf eine Kandidatur

WIESBADEN - Durch einen Pakt mit den Linken wollte sich Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Doch eine Abgeordnete aus den eigenen Reihen stoppt die SPD-Politikerin. - Das Drama von Hessen.

Die Frau meint es ernst: „Am meisten verabscheue ich Lügen und Zyniker“, verkündet Dagmar Metzger auf ihrer Homepage. Bis vor vier Wochen war sie Stadtverordnete in Darmstadt, betätigte sich im Denkmal- und Theaterbeirat. Bis dato hatte keiner Angst vor ihrer Lügen- Aversion.

Doch seit vier Wochen sitzt Metzger im hessischen Landtag. Seit Freitag weiß Andrea Ypsilanti, dass die 40-Jährige bei ihrer Verabscheuung für Lügen keine Ausnahmen macht. Die Neue verhindert, dass sich Ypsilanti durch einen Pakt mit den Linken zur Ministerpräsidentin wählen lassen kann. Sie beendet die Karriere einer fast gleichaltrigen Frau, die sich nach oben gekämpft hat und die ganze SPD aufzumischen schien. Nach ihrem unerwartet guten Wahlergebnis vor vier Wochen rang sie Parteichef Kurt Beck die Zustimmung ab, ihr Wahlversprechen zu brechen und doch mit den Linken zu paktieren.

Der 5. April sollte ihre Krönungsmesse werden

Von linken Sozialdemokraten wurde sie als Ikone gefeiert. Und von der Opposition als Lügnerin beschimpft. Der 5. April sollte ihre Krönungsmesse werden. Mit den Stimmen der Grünen und der Linkspartei wollte sich Ypsilanti zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Sie sei „sehr sicher, dass die Fraktion steht“, sagte sie – und täuschte sich. 56 Stimmen brauchte sie, um Landeschefin zu werden. 57 hatten SPD, Grüne und Linke. Abzüglich Metzgers Stimme hätte es einen weiteren Abweichler gebraucht – Ypsilanti hätte das Schicksal von Heide Simonis ereilt, der ein Gegner aus der eigenen Partei 2005 die Polit- Rente bescherte.

Jetzt ist Ypsilantis Karriere wohl beendet. Die Machtgier war zu groß, die Vorbereitung der Wahl zur Ministerpräsidentin zu stümperhaft. Und für Kurt Beck ist der Fall Ypsilanti ein weiterer Tiefschlag.

Dann erzählte Frau Metzger ihre Lebensgeschichte

Hessischer Landtag, Freitag, 12.07 Uhr. Metzger gibt ihr Gewissens-Plädoyer ab. „Ich bin natürlich aufgeregt“, sagt sie, unter den Augen hat sie tiefe Ringe. Zuvor hat sie eineinhalb Stunden mit Ypsilanti gerungen. Die hatte versucht, sie umzustimmen: Mit Argumenten, auch mit Drohungen und der Idee, Metzger solle zurücktreten, wenn ihr Gewissen sie so belaste. „Es sind inhaltlich keine neuen Argumente gekommen“, sagt Metzger knapp. Dann erzählt sie ihre Lebensgeschichte.

Dagmar Metzger wuchs in West-Berlin zur Zeit des Eisernen Vorhangs auf. „Mein Vater musste seine Mutter im Ostteil zurücklassen. Wir waren über Jahre getrennt“, sagt sie. Ihr Vater habe SED-Chef Walter Ulbricht geglaubt, dass keine Mauer gebaut wird – er wurde belogen. „Man darf das nicht vergessen“, sagt sie immer wieder. Sie ist den Tränen nahe.

"Das Gewissen ist höher zu bewerten"

Immer wieder sei sie im Wahlkampf gefragt worden, ob die Sozialdemokraten mit den Linken gemeinsame Sache machen. „Ich habe nein gesagt. Dazu stehe ich.“ Ypsilanti hatte sie bekniet, doch an ihre Verantwortung für die Partei zu denken. „Meine Gewissensentscheidung ist für mich höher zu bewerten als die Verantwortungsethik“, entgegnet Metzger.

Dann greift sie Ypsilantis Vorbereitungen für ihre Wahl zur Ministerpräsidentin an: „Ich denke, man hätte es geschickter machen können.“

Nicht mal eine Stunde später sitzt Andrea Ypsilanti dort, wo ihre Verhinderin vorher gesessen hat. Sie trägt Schwarz, das passt zu ihrer eigenen politischen Beerdigung. Am 5. April werde sie sich nicht zur Wahl stellen. „Ich werde diesen Weg nicht gehen. Denn ich kann für eine Mehrheit nicht garantieren“, sagt sie.

Dann bricht der Zorn aus ihr heraus: Metzger sei bei der wichtigen Fraktionssitzung am vergangenen Dienstag, als das rot-rotgrüne Regierungsprojekt abgenickt wurde, im Skiurlaub in der Schweiz gewesen. „Da hätte ich erwartet, bei so einer wichtigen Abstimmung da zu sein“, schimpft sie.

Alles war umsonst

Es ist die Enttäuschung, die aus ihr spricht. Enttäuschung darüber, dass alles umsonst war: Der Kampf gegen die eigenen Genossen im Ringen um die Spitzenkandidatur, der harte Wahlkampf gegen Roland Koch – und das Wagnis, sich durch Brechen eines Wahlversprechens als Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Sie habe sich „redlich bemüht“, eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP hinzubekommen.

Dass sie nie an einem Pakt mit den Liberalen interessiert war, verschweigt sie. Der FDP hatte sie Vorschläge gemacht, die die Liberalen nicht annehmen konnten: Mindestlohn, Studiengebühren weg, Spitzensteuersatz rauf. Nur Zyniker können das redlich nennen. Und Zyniker schätzt Frau Metzger bekanntermaßen ebensowenig wie Lügner.

"Davon wird sich Ypsilanti kaum erholen"

Was wird jetzt aus Andrea Ypsilanti, die Ex- Kanzler Schröder schon mal als „Frau XY“ verhöhnt hatte? „Davon wird sie sich kaum erholen“, glaubt der Parteienforscher Franz Walter.

In Berlin wird derweil weiter über Parteichef Kurt Beck diskutiert. „Es war ein inhaltlicher Fehler, mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Das hat jetzt jeder gemerkt“, sagt Johannes Kahrs vom rechten SPD-Flügel Seeheimer Kreis zur AZ.

Generalsekretär Hubertus Heil beeilt sich zu beteuern: „Kurt Beck ist nicht beschädigt.“ Von Frau Ypsilanti war da kaum noch die Rede.

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