Frau XY hat’s allen gezeigt
"Ich bin vielleicht zierlich, aber verdammt zäh" - Andrea Ypsilanti ist die Wahlsiegerin in Hessen. Und sie wird in der SPD künftig kräftig mitreden.
Die zierliche Frau mit dem braunen Blazer wirkt wie erschlagen von ihrem Sieg: Schüchtern bahnt sie sich den Weg durch ihre völlig losgelösten Parteifreunde in der Wiesbadener SPD-Fraktion. „AN-DRE-A!, AN-DRE-A!“ brüllen die Genossen und „Koch ist weg, Koch ist weg!“ So wie die chaotische SPD-Fraktion scheint auch die Spitzenkandidatin an diesem Abend noch nicht so ganz auf einen Wahlsieg eingestellt zu sein.
Sozialdemokratie nach ihren Wünschen
„Die Sozialdemokratie ist wieder da“, sagt Andrea Ypsilanti. Eine brillante Rednerin ist sie nicht, aber es ist klar, was sie damit meint. Sie meint eine Sozialdemokratie nach ihren Wünschen: eine linke SPD, die sich von der Agenda-Politik eines Gerhard Schröder absetzt. Der Altkanzler hatte einst spöttisch über die Hessin, die gegen seine Politik mobil machte, gesagt: „Wer ist eigentlich Frau XY?“
Heute ist Ypsilanti republikweit bekannt. Hartnäckigkeit und Glaubwürdigkeit sind die Gründe dafür, sagen ihre Anhänger. „Wir haben für eine andere politische Kultur in diesem Land gekämpft – und wir haben gewonnen“, sagt sie. Und: „Die bürgerliche Mehrheit in Hessen gibt es nicht mehr.“
Der alte Koch war wieder da
Rückblick: Im vergangenen Dezember liegt Kochs CDU in den Umfragen klar vorn. Dann schlagen zwei ausländische Jugendliche in der Münchner U-Bahn einen Rentner zusammen – und der alte Koch ist wieder da. Er glaubt, sein Thema gefunden zu haben – und schafft sich so seine Gegnerin.
Ypsilanti lässt Koch ein paar Tage gegen Ausländer wettern und sie selbst und den grünen Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir als Kommunistenfreunde mit fremdländischen Namen hinstellen. Dann meldet sie sich: „Wir machen Wahlkampf mit Hoffnung“, sagt sie. Ypsilanti über Koch: „Er spaltet diese Gesellschaft, er diffamiert, und er schürt Angst.“ Die Menschen glaubten ihr.
Zierlich, aber verdammt zäh
Ihre Gegner wissen jetzt, was hinter dieser Aussage steckt: „Ich bin vielleicht zierlich, aber ich bin verdammt zäh.“ Das zeigte sie auch ihren Genossen: Für die Kandidatur bei den Wahlen musste sie Fraktionschef Jürgen Walter auf einem Parteitag beiseite räumen. Bei einer Mitgliederbefragung war sie zuvor durchgefallen.
Doch wie tickt die Siegerin von Wiesbaden? Sie ist links, das ist nicht nur an ihrem SPD-Vokabular mit Worten wie „Genossen“, „solidarisch“ und „Gerechtigkeit“ erkennbar. Den Mindestlohn bewirbt sie per Unterschriftenaktion. Investitionen in Bildung will sie durch Wiedereinführung der Vermögenssteuer finanzieren. In den ersten 100 Tagen als mögliche Ministerpräsidentin plant Ypsilanti die Abschaffung der Studiengebühren und des G8, auch ein Programm zum Kinder-Schutz. „Wir haben die richtigen Themen gesetzt“, sagt Ypsilanti. Und ergänzt zufrieden: „Das gilt auch für die Bundesebene.“
Mitreden auf Bundesebene
Sicher ist damit: Ypsilanti wird durch ihren Wahl-Triumph auch auf Bundesebene in der SPD kräftig mitreden. Das weiß auch Parteichef Kurt Beck. Ursprünglich war er gegen Ypsilantis Kandidatur. Dann erkannte er, dass die zierliche Frau ein Lakmus-Test für seine Links-Ausrichtung der SPD ist. Kein Wunder, dass er im Wahlkampf fleißig mithalf und gestern schon kurz nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen jubilierte.
Es gibt aber auch Fragezeichen hinter der netten Frau Ypsilanti: 200 Millionen Euro soll ihr Wahlprogramm allein in den ersten hundert Regierungstagen kosten. Woher das Geld kommen soll, ist noch ungewiss. Auch die Frage, ob oder mit wem Ypsilanti überhaupt regieren kann. Kritiker trauen ihr zu, mit der Linken gemeinsame Sache zu machen. Das hat Ypsilanti jedoch bislang dementiert.
Den Wahl-Triumph kann ihr trotzdem keiner nehmen. Die Diplomsoziologin Ypsilanti veröffentlichte ihre Abschlussarbeit über „Biographien einflussreicher Frauen“. Jetzt gehört ihre eigene Biografie dazu.
Volker ter Haseborg
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