Französische Fluchten: Macht Scholz nun auch den Macron mit Neuwahlen?

Paris/Berlin - Es war selbst ohne Alkohol vermutlich ein Montag mit Katerstimmung für Olaf Scholz. Auch wenn es Zweifler gibt, ob der Kanzler überhaupt zu größeren Emotionen fähig ist: Der Verlust bei der Europawahl dürfte auch an ihm nicht abperlen. Die SPD hat mit 13,9 Prozent das schlechteste Ergebnis in ihrer Parteigeschichte geholt.
Eine saftige Klatsche hat auch Emmanuel Macron in Frankreich erlebt. Das Rassemblement National um Marine Le Pen hat mit 31,4 Prozent mehr als doppelt so viele Stimmen geholt wie das Bündnis Renaissance um Macron.
Der Staatspräsident zog noch am Wahlabend Konsequenzen und hat für den 30. Juni und 7. Juli Neuwahlen in zwei Gängen für die Nationalversammlung angesetzt.
Und ewig fordert die Opposition Neuwahlen
Nun reiben sich auch in Deutschland die Oppositionsparteien die Hände. CSU-Chef Markus Söder, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und die AfD fordern, wie schon so oft, Neuwahlen von Scholz.
Schon in der Vergangenheit prallte dies an den Ampelparteien und allen voran an Scholz ab. Am Montag wies SPD-Chef Lars Klingbeil die Forderungen sogleich zurück. Die SPD sei als Team angetreten, habe gemeinsam verloren und werde sich gemeinsam aus der Situation herausarbeiten.
Expertin hält Neuwahlen für unwahrscheinlich
Wenig Perspektive für eine Auflösung des Bundestags sieht Politik-Professorin Ursula Münch. Grundsätzlich gebe es nach Artikel 68 des Grundgesetzes nur die Möglichkeit, dass der Bundeskanzler den ersten Schritt dazu macht und die Vertrauensfrage stellt.
"In dem Wunsch und mit dem Wissen, dass ihm Teile der Regierungsfraktionen das Vertrauen gezielt nicht aussprechen", sagt Münch der AZ. Dann könnte er den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen und dieser könnte dem Wunsch nachkommen. "Aber zwingen kann den Bundeskanzler niemand", sagt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.
Die Situation in Frankreich ist vollkommen anders. Macron steuere auf ein System der "Cohabitation" zu, bei dem die Mehrheit des Parlaments nicht dem Regierungslager zugehört. "Das hat es in Frankreich schon öfters gegeben und betrifft in erster Linie den Premierminister, der vom Vertrauen der Nationalversammlung abhängig ist", sagt Münch.
Das gilt jedoch nicht für den Staatspräsidenten, der direkt vom Volk gewählt ist.
"Eigentlich ist der Premierminister ein verlängerter Arm des Präsidenten, das wird sich aber nun wohl anders gestalten", sagt Münch. Das wird Macron das Regieren aber nur etwas schwieriger machen, vor allem in der Innenpolitik. "Denn die Rolle des Premierministers ist dadurch gestärkt", sagt Münch.
Hofft Macron auf ein Wunder?
Warum Macron den Schritt in Frankreich geht, ist für Münch etwas rätselhaft. "Entweder er hofft auf ein Wunder oder er will nicht die drei Jahre, die er noch im Amt ist, mit der öffentlichkeitswirksamen Dauerforderung von Le Pen nach Neuwahlen ertragen", sagt die Professorin.
Macron könnte das aber, denn abwählen kann man ihn nicht. Zumal er schon in der zweiten Amtszeit ist und keine Rücksicht auf einen zukünftigen Wahlkampf nehmen müsste – denn in Frankreich sind nur zwei Amtsperioden möglich.
Akt des Vertrauens oder verrückte Wette von Macron?
In französischen Medien wird Macrons Schritt kritisch beurteilt. Von einem "tödlichen Schritt" berichtet "Le Figaro". Eine "verrückte Wette" nennt es "L'Humanité". Der Präsident spricht selbst von einem "Akt des Vertrauens".
Für Deutschland sieht Münch nur eine reelle Möglichkeit, nämlich wenn die FDP hinwerfe und Scholz so die Mehrheit nimmt. "Aber ich gehe nicht davon aus, denn das Ergebnis für die Liberalen war jetzt nicht so dramatisch", sagt Münch. Tatsächlich schloss Parteichef Christian Lindner dies am Montag aus.
Was denkt sich Scholz dabei?
Vermutlich spekuliere Scholz darauf, dass sich die Wirtschaft bis zur Bundestagswahl erhole und sich die Stimmung in der Bevölkerung bessere, meint Münch. Ein weiterer Faktor in des Kanzlers Kalkül könnte sein, dass die Union durch die baldigen Landtagswahlen im Osten eher beschädigt als gestärkt wird.
Abgeordnete könnten klagen
Münch weist aber noch auf einen anderen Faktor hin: "Keiner der eigenen Abgeordneten der Ampelparteien wird an Neuwahlen irgendein Interesse haben!" Denn neben den Stimmverlusten komme es in der kommenden Wahlperiode zu einem verkleinerten Bundestag. Sprich: Es sind schlicht weniger Sitze zu vergeben und die Abgeordneten dürften ein Interesse haben, immerhin eine Legislatur zur vollenden.
"Schon in der Vergangenheit wurde von Bundestagsabgeordneten gegen die Vertrauensfragen von Helmut Kohl und Gerhard Schröder geklagt", sagt Münch. Zwar ohne Erfolg, aber gerade in den 1980er Jahren habe sich das Bundesverfassungsgericht schwer in der Argumentation getan. "Das ist schon ein Risikofaktor, denn man weiß nie, wie ein Gericht entscheidet", sagt Münch. Der Spielraum für die Vertrauensfrage ist rechtlich beengt und darf nur bei einer echten Krise, nicht jedoch beliebig gestellt werden.