Franz und Frank können Führung

Krönungsmesse in Krisen-Moll: Nach den Skandal-Wochen feiert sich die SPD auf ihrem Parteitag am Wochenende als einzige Alternative in schwierigen Zeiten. Das neue Führungsduo Steinmeier und Müntefering verbreitet Optimismus. Durch die Partei weht ein frischer, aber kühler Wind
von  Abendzeitung
Vereint im Gesang: Franz Müntefering, Frank-Walter Steinmeier.
Vereint im Gesang: Franz Müntefering, Frank-Walter Steinmeier. © dpa

BERLIN - Krönungsmesse in Krisen-Moll: Nach den Skandal-Wochen feiert sich die SPD auf ihrem Parteitag am Wochenende als einzige Alternative in schwierigen Zeiten. Das neue Führungsduo Steinmeier und Müntefering verbreitet Optimismus. Durch die Partei weht ein frischer, aber kühler Wind

Es ist 13.14 Uhr am Samstagmittag im Estrel-Hotel in Berlin-Neukölln, als die deutsche Sozialdemokratie einen neuen Star gebärt: Frank-Walter Steinmeier. Der Parteivize und Bundesaußenminister nimmt die Huldigungen der SPD entgegen für seine Bewerbung als Kanzlerkandidat. „Wenn ihr Vertrauen habt, dann bin ich bereit, Genossinnen und Genossen“, hat der 52-Jährige soeben mit bebendem Pathos dem Sonderparteitag zugerufen. Und keinen Zweifel daran gelassen, wohin die Reise gehen soll: „Klare Führung“ sei angesagt in Zeiten der Finanzkrise. „Deutschland erlebt eine Zeitenwende, die soziale Demokratie ist wieder da“, dröhnt Steinmeier. Die SPD jubelt und wählt ihn mit 95 Prozent zu ihrem Kandidaten.

Franz Müntefering lächelt still in sich hinein, überlässt Steinmeier die Show. Bei seiner eigenen Wahl zum Vorsitzenden bekommt er kurz darauf nur 85 Prozent. Ein ordentliches Ergebnis für den spröden Sauerländer, der den Chefposten immerhin schon einmal Knall auf Fall hingeworfen hatte, weil die Partei seinen Adlatus nicht zum General küren wollte. Bei seiner ersten Wahl 2004 hatte er noch 95,1 Prozent bekommen.

Münte kann Partei - Stone kann Regierung

Die Aufgabenteilung des neuen SPD-Tandems ist klar: Münte kann Partei, Stone kann Regierung. Müntefering übernimmt die schmutzige Knochenarbeit im Maschinenraum, damit der Kandidat auf dem Sonnendeck in hellem Licht glänzen kann. Also klatscht Münte seinen Steinmeier ab, Gerhard Schröder herzt den alten Kumpel, Hans-Jochen Vogel nickt ihm gravitätisch zu, sogar die Riege der Gewerkschaftsbosse macht ein freundliches Gesicht. Und selbst der alte Helmut Schmidt nimmt kurz die Fluppe aus dem Mund, erhebt sich und tätschelt den Kandidaten. Das ist der Ritterschlag.

Überhaupt der Partei-Ahnherr aus Hamburg: Wie der so dasitzt, in sich versunken, mit mürrischer Miene, kettenrauchend und auf den Stock gestützt, rechnet man eigentlich jeden Moment damit, dass Schmidt die Bühne entert und den Reich-Ranicki der SPD macht. Aber Schmidt denkt nicht daran, Blitze in den Saal zu schleudern. Im Gegenteil: Er ist äußerst zufrieden.

Die Partei suhlt sich nicht mehr in tiefer Depression

Die Partei ist nämlich kaum wiederzuerkennen. Nur noch Bühnenbild und Parolen erinnern an den Hamburger Parteitag vor einem Jahr. Der entscheidende Unterschied aber ist: die Stimmung. Die Partei suhlt sich nicht mehr in tiefer Depression. Sie hat wieder Mut gefasst. Die Delegierten schämen sich nicht mehr für ihr zankendes Führungspersonal fremd, sondern sind wild entschlossen, dem neuen Spitzentandem zuzujubeln. Kurt Becks unentschiedene Mecki-Langhaar-Frisur ist passé, angesagt sind jetzt der strenge Seitenscheitel Steinmeiers und das straff zurückgebürstete Haupthaar Müntes.

Die Parteitagsregie hat auf allen neumodischen Schnickschnack verzichtet: Es gibt keine kitschigen Videos, keinen sülzenden Moderator, keine peitschende Musik. Stattdessen den Slogan „Verantwortung in Deutschland“ und ein Fontane-Zitat: „Am Mute hängt der Erfolg.“ Die SPD im Oktober 2008 kommt stocknüchtern daher. Und erstaunlich geschlossen. Sie inszeniert sich als Deutschlands einzige Chance für ernste Zeiten. Mit einem Ex-Verwaltungsbürokraten und einem asketischen Witwer an der Spitze. „Die SPD ist wieder im Spiel“, ruft Steinmeier. Und der Saal glaubt daran.

Von Kurt Beck ist nur noch am Rande die Rede. Der gefallene, beleidigte Parteichef ist der Krönungsmesse seiner Erben ferngeblieben. Nicht mal ein Grußwort hat er geschickt. Vermisst wird Pfälzer von der Spitzenriege nicht wirklich: „Franz, ich bin froh, dass du zurück bist!“, entfährt Steinmeier stattdessen ein Seufzer der Erleichterung. Müntefering sagt über seinen Antipoden: „Vielleicht wurde deutlich, dass es außer im Sauerland auch in Rheinland-Pfalz Sturköpfe geben kann. Heuchelei ist ja meine Sache nicht. Aber Kurt Beck wird ein bedeutender Sozialdemokrat, ein verdienstvoller ehemaliger Vorsitzender, ein wichtiger Ministerpräsident bleiben.“ Punkt, Aus, Ende. Politik ist ein brutales Geschäft.

Nur ein paar versprengte Jusos machen Stimmung gegen die "Basta"-Politik

Die Spin-Doktoren indes, die Strippenzieher aus der zweiten und dritten Reihe, die Beck für seinen Rücktritt verantwortlich gemacht hat, haben Oberwasser: Wie aus dem Ei gepellt stehen sie da in ihren schwarzen Anzügen, wispern einander ins Ohr und tippen Kurznachrichten in ihre Blackberries. Die Botschaft, die sie rüberbringen wollen, formuliert einer wie folgt: „Wir sind klasse. Ohne Sozialdemokraten gibt es keine Rettung.“ Dann lacht er sehr laut.

Offen traut sich an diesem Tag kein Genosse, die Krönungsmesse in Krisen-Moll zu stören. Nur ein paar versprengte linke Jusos haben sich T-Shirts übergestreift mit der Aufschrift „Nie wieder basta!“. „Die Partei kann nicht ohne Führung leben“, sagt dagegen ein einflussreiches Mitglied der Fraktion der AZ: „Aber bei Führung opponiert sie immer lustvoll.“ Beck habe nie geführt, nur misstrauisch herumgeeiert. Unter den Abgeordneten ging das geflügelte Wort um: „Beck kann nicht mal Rücktritt.“ Ein Mitarbeiter des Willy-Brandt-Hauses zuckt mit den Schultern: „Tut mir ja echt leid für den Kurt, aber ich war am Ende selber nicht mehr motiviert. Jetzt bin ich wieder voller Tatendrang.“

Dafür steht der alte Fuchs aus dem Sauerland. Als jüngst ein paar Genossen im Bundestag die Köpfe zusammensteckten, kam er angeschossen. Ein Augenzeuge: „Da steht plötzlich dieser Mensch im braunen Anzug da und sagt: ,Vergesst nie: Immer, wenn mehr als drei Sozis beisammen sind, bin ich mitten unter euch.’“

In seiner Parteitagsrede feuert der 68-Jährige einmal mehr ein Stakkato ab, das sprüht vor Lust an Politik, Macht und Attacke. Keiner kann Staatsphilosophie und Stammtisch so schön zusammenspannen wie Münte: „Unsere Maxime muss lauten: pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken. Also die Menschen in Arbeit zu bringen. Das isses, darum geht es.“

Am Ende des Tages, am Hauptbahnhof, sieht man viele Menschen mit rotem Münte-Schal in ICEs steigen. Kein Wunder: Alle Delegierten haben den Halswärmer geschenkt bekommen. Sie werden ihn brauchen können. In der neuen SPD wird es wahrscheinlich erfolgreicher, gewiss aber kälter zugehen. Ein Delegierter raunte General Hubertus Heil schon mal ins Ohr: „Ich hab da ’n Problem in meinem Ortsverein. Das ist so ’n bisschen wegen dem Franz.“

Markus Jox

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