Felix Klein: "Die schweigende Mehrheit aus ihrer Lethargie holen"

Felix Klein, seit Mai der Beauftragte der Bundesregierung für Antisemitismus, sieht hier eine besonders wichtige Aufgabe - was er sonst plant.
Interview: Clemens Hagen |
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Steht vor einer Mammutaufgabe: Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung.
Gregor Zielke Steht vor einer Mammutaufgabe: Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung.

München - Der 50-jährige Darmstädter Felix Klein ist ein auf Völkerrecht spezalisierter Jurist. Er war als Diplomat in Kamerun und in Italien tätig. Seit Mai 2018 ist er der Antisemitismus-Beauftragte der Regierung. Hier äußert er sich im AZ-Interview.

AZ: Herr Dr. Klein, am Donnerstag kam es in Bonn schon wieder zu einem antisemitischen Übergriff für die Verwechslung entschuldigt hat.

Noch verstörender ist der Fall des jüdischen Neuntklässlers, der an einer Elite-Schule in Berlin-Zehlendorf von seinen Mitschülern über einen langen Zeitraum schikaniert und gemobbt wurde - hier geschah alles in der Mitte der Gesellschaft, wie man so schön sagt.
Der Fall zeigt, dass Antisemitismus nicht eine Frage des Bildungsniveaus ist. Er kommt eben auch da vor, wo man ihn gar nicht vermutet, nämlich an der vermeintlich weltoffenen John-F.-Kennedy-Schule, die viele Diplomatenkinder besuchen. Deshalb müssen wir überall in der Gesellschaft prüfen, wo sich Antisemitismus verbirgt. Das Gute an dieser Sache ist, dass die Schule den Fall selbst aufgedeckt und eigene Fehler eingestanden hat - und jetzt anscheinend auch Konsequenzen ziehen will.

Sicher trifft hier sowohl die Eltern der Schüler als auch ihre Lehrer ein Teil der Schuld. Von staatlicher Seite Einfluss auf die Eltern zu nehmen, ist unmöglich. Bei den Lehrern hingegen geht dies schon.
Wir wollen dafür sorgen, dass das Thema Antisemitismus zum Gegenstand der Lehrerausbildung gemacht wird - und zwar systematisch. Unsere Pädagogen sind viel zu wenig darauf vorbereitet, in solchen Fällen von Antisemitismus auf dem Schulhof oder im Klassenzimmer einzugreifen.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Ganz einfach, indem in die Lehrerausbildung ein Ausbildungsmodul aufgenommen wird, das sich mit Antisemitismus und Rassismus beschäftigt und das auch Prüfungsgegenstand wird. Gerade auch in der Referendarzeit sollten den angehenden Lehrern Techniken beigebracht werden, damit sie sich in solchen Situationen zurechtfinden.

Wie antisemitisch ist die deutsche Gesellschaft heute Ihrer Meinung nach?
Seriöse Umfragen zeigen, dass ungefähr 20 Prozent der Deutschen latent antisemitische Einstellungen haben. Heute haben wir eine Verrohung festzustellen, vor allem der Sprache, und eine Abstumpfung, die vor allem durch Soziale Medien und das Internet hervorgerufen wird. Der Antisemitismus äußert sich unverhohlener und offener. Das ist eine Verschiebung roter Linien, und ich sehe es als meine Aufgabe an, diese roten Linien wieder dorthin zu drücken, wo sie hingehören.

"Der innere Kompass der Gesellschaft muss besser funktionieren"

Warum ist es so reizvoll für viele Menschen, gerade antisemitische Tabus zu brechen? Witze über den Holocaust, zum Beispiel.
Gerade für pubertierende Schüler scheint es reizvoll, diese Tabus zu brechen. Antisemitische Argumentationsketten werden dabei leider immer wieder herangezogen. Man weiß, was man damit bei anderen auslöst. Die Bilder sind jahrhundertealt, bei uns tradiert, wie etwa die unselige Vorstellung von jüdischem Streben nach Weltherrschaft oder eine übermäßige Kontrolle von Juden über internationale Finanzströme. Diese Bilder werden in unterschiedlichen Formen "ideologisch rechts" ebenso wie "ideologisch links" politisch aufgeladen. Das ist das Erschreckende am Antisemitismus, dass er so viele ideologische Hintergründe hat.

Es gibt ja auch viele falsche Vorbilder, zum Beispiel in der Popkultur. Nehmen Sie den Echo-Auftritt der Rapper Kollegah und Farid Bang. Oder - für die Älteren - Pink-Floyd-Sänger Roger Waters, der bei seinen Konzerten regelmäßig ganze antiisraelische Litaneien von sich gibt.
Die größte Herausforderung ist es, die schweigende Mehrheit, die diese Dinge akzeptiert, aus ihrer Lethargie zu holen. Der innere Kompass unserer Gesellschaft muss besser funktionieren. Menschen müssen aufstehen, wenn sie antisemitische Sprüche hören. Der Fall der Rapper ist ja noch Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen, da muss man auch mal zeigen, dass Volksverhetzung und Leugnung bzw. Relativierung des Holocaust strafbar in Deutschland sind. Die Gesetze müssen konsequenter angewendet werden.

Bei vielen Urteilen der deutschen Justiz kann man bloß den Kopf schütteln. Das Landgericht Frankfurt hat kürzlich der Fluggesellschaft Kuwaiti Airlines recht gegeben und entschieden, dass sie von Deutschland aus keine Israelis befördern muss.
Sicher ist auch die Justiz Teil der deutschen Gesellschaft und sicher hat es in der Vergangenheit skandalöse Urteile gegeben. Der Fall mit Kuwaiti Airlines ist noch nicht vorbei, da wurden meines Wissens Rechtsmittel eingelegt. Aber es gibt noch andere Fälle: Einen Angriff mit einem Molotow-Cocktail auf eine Synagoge in Wuppertal bewertete das Gericht nicht als antisemitisch, sondern als Akt der persönlichen Frustration. Das sind nicht hinnehmbare Entwicklungen. Da sehe ich auch die Politiker und Medien in der Pflicht, auf diese skandalösen Fälle hinzuweisen.

Trifft auch die Politik Schuld, wenn man an den ehemaligen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel denkt, der Israel Apartheidspolitik vorgeworfen hat? Sein Nachfolger Heiko Maas ist gerade ja sehr bemüht, das zerschlagene Porzellan wieder zu kleben.
Die Beziehung zu Israel ist für jeden deutschen Außenminister eine ganz besondere. Ich bin froh, dass Maas mit einem sehr beeindruckenden Satz die Amtsgeschäfte übernommen hat. Er hat gesagt, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen. Wirklich ein starkes Statement, nach dem er auch handelt. Gabriel war ja auch engagiert, was das deutsch-israelische Verhältnis betrifft, aber seine Kommunikation war, gelinde gesagt, unglücklich.

Vielfach wird Antisemitismus unter dem Deckmäntelchen der Israel-Kritik versteckt - dürfen Deutsche Israel überhaupt hinterfragen? Stichwort: Siedlungsbau?
Ja, ich finde schon, dass wir die Handlungen Israels bewerten können und dürfen - so wie die Handlungen jedes anderen Staates. Es beginnt problematisch zu werden, wenn an die Handlungen der Israelis andere Maßstäbe angelegt werden als an die anderer Länder. Wenn Israel delegitimiert oder auch dämonisiert wird, also behauptet wird, Israel ginge mit Palästinensern auch nicht anders um als die Nazis mit den Juden. Solche Bilder sind natürlich absolut inakzeptabel. Ich bin auch sicher, dass pro-palästinensische Aktivisten der Sache der Palästinenser schaden, ihrer berechtigten Anliegen, wenn sie solche antisemitischen Bilder verwenden. Das führt ja dazu, dass wir sofort die israelische Regierung in Schutz nehmen müssen.

In München stehen seit bald zwölf Jahren am St.-Jakobs-Platz die Hauptsynagoge und das Jüdische Gemeindezentrum - beide Bauten werden Tag und Nacht von der Polizei bewacht. Glauben Sie, es wird eines Tages nicht mehr nötig sein, jüdisches Leben besonders zu schützen?
Es ist nicht gut, dass wir uns an diesen Zustand gewöhnt haben. Es ist ein Kampf, den wir nicht verlieren dürfen. Deshalb sage ich auf diese Frage: Ja, eines Tages wird es hoffentlich nicht mehr nötig sein, jüdisches Leben in Deutschland besonders zu schützen. Alles andere wäre fatalistisch.

Zum "importierten" Antisemitismus durch Araber. Wie sehen Sie dieses Problem?
Zuerst einmal: Die Flüchtlinge sind ja nicht zu uns gekommen, um ihren Antisemitismus zu importieren, sondern, weil sie um ihr Leben fürchten. Aber es stimmt natürlich: Diese Menschen sind in Ländern sozialisiert worden, in denen Israel-Hass fast zur Staatsdoktrin gehört. Letztlich ist es eine Integrationsaufgabe: Wir müssen den Flüchtlingen und überhaupt allen Muslimen klarmachen, dass, wer sich antisemitisch äußert oder betätigt, sich außerhalb der deutschen Gesellschaft stellt und hier keinen Erfolg haben wird. Symptomatisch fand ich, dass der Gürtelschläger vom Prenzlauer Berg, der einen Kippa-Träger angegriffen hat, anscheinend sehr überrascht war, welche Aufmerksamkeit sein Prozess erregt hat. Jetzt versteht er es wahrscheinlich.

In vielen muslimische Ländern gibt es auch Vorbehalte gegen Frauen und Homosexuelle.
Natürlich müssen wir genauso für Toleranz gegenüber Andersgeschlechtlichen kämpfen oder gegen jede Homophobie. Das ist eine Aufgabe, der müssen wir uns noch stärker und systematischer widmen.

Fühlen Sie sich angesichts der schieren Größe und Unfassbarkeit - der Antisemitismus lässt sich nicht fassen - mit Ihrer Aufgabe überfordert?
Ich sehe erst einmal die Einrichtung des Amtes als einen Akt der Ehrlichkeit an. Die deutsche Politik und Gesellschaft hat erkannt, dass es hier ein Feld gibt, das systematischer und auch politischer Begleitung bedarf. Für mich ist es außerdem eine Ehre, dieses Amt als erster bekleiden zu dürfen. Das ist eine Chance, Maßstäbe zu setzen. Ich werde keinesfalls akzeptieren, dass dieses Amt eine Art Feigenblatt-Funktion für die Politik erfüllt. Deshalb mache ich dieser Tage auch viele Antrittsbesuche in anderen Ministerien.

"Ich merke schon, dass Herr Seehofer engagiert ist"

Haben Sie denn mit "Ihrem" Minister Horst Seehofer schon gesprochen?
Ja, da habe ich auch gemerkt, dass er in seiner Zeit als Ministerpräsident von Bayern sehr guten und intensiven Kontakt mit der Jüdischen Gemeinde hatte. Auch Herr Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, stammt ja aus Bayern. Zu Frau Knobloch gibt es gute Beziehungen. Ich merke schon, dass Herr Seehofer auch jetzt engagiert ist. Er hat persönlich dafür gesorgt, dass der Beauftragte ins Innenministerium kommt und nicht im Kanzleramt angesiedelt wurde, was auch einmal angedacht war. Ich fühle mich von ihm gut unterstützt und werde mit ihm in den nächsten Tagen gezielt über Initiativen sprechen.

Über welche?
Wir wollen ein Erfassungssystem für ganz Deutschland aufbauen, das antisemitische Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze dokumentiert. Bisher ist die Kriminalstatistik das Einzige, was wir haben, aber die ist nicht brauchbar, wenn es darum geht, passgenaue präventive Maßnahmen zu entwickeln. Das hat Herr Spaenle bereits für Bayern gefordert, und das funktioniert hier in Berlin schon gut. Das brauchen wir bundesweit, und das wird unser erstes Großprojekt, damit wir überhaupt die Lage erkennen können. Mein Ziel ist es, zu erreichen, dass jüdisches Leben nicht als etwas Fremdes wahrgenommen wird, sondern als Teil unseres Landes, der deutschen Kultur, der deutschen Realität.

Herr Klein, für Ihre Aufgabe wünschen wir Mazel tov!
(lacht) Danke!

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