FDP-Experte Stinner: "Piraten aktiv bekämpfen"
Bundesinnenminister Schäuble hat eine Geheimoperation zur Befreiung des deutschen Schiffes abgeblasen. Der FDP-Verteidigungsexperte Rainer Stinner äußert harsche Kritik an der seiner Meinung nach viel zu laschen Anti-Piraten-Strategie der Regierung.
Bundesinnenminister Schäuble hat eine Geheimoperation der Eliteeinheit GSG 9 zur Befreiung des vor Somalia gekaperten deutschen Schiffes „Hansa Stavanger“ im letzten Moment abgeblasen. Die Gefahr für das Leben der Geiseln sei zu hoch gewesen, so die Begründung. Der FDP-Verteidigungsexperte Rainer Stinner äußert im AZ-Interview harsche Kritik an der seiner Meinung nach viel zu laschen Anti-Piraten-Strategie der Regierung.
AZ: Herr Stinner, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat die GSG 9 im letzten Moment gestoppt. Die Elite-Einheit sollte das von Piraten gekaperte deutsche Schiff "Hansa Stavanger" vor der Küste Somalias stürmen. Zu gefährlich, sagt Schäuble. Was meinen Sie?
RAINER STINNER: Die Entscheidung Schäubles zeigt ein weiteres Mal das Abstimmungschaos innerhalb der Bundesregierung. Offenbar sind die Ministerien in Berlin völlig uneins, was die Piratenjagd angeht. Dieses Kompetenzgerangel darf nicht weiter auf dem Rücken deutscher Geiseln ausgetragen werden!
Warum motzen Sie als oberster Piratenjäger der liberalen Flotte eigentlich dauernd an der deutschen Strategie für das Horn von Afrika herum?
Die Bundesregierung interpretiert das Mandat falsch. Indem sie sagt, es sei die Hauptaufgabe der deutschen Marine, die Schiffe des Welternährungsprogramms zu begleiten. Das stimmt aber nicht. Das Mandat, das der Bundestag beschlossen hat, ist sehr viel umfassender. Da steht ausdrücklich drin, dass der aktive Kampf gegen Piraten aufgenommen werden kann, dass man aktiv Piraten festnehmen kann. Das macht die Bundesregierung nach wie vor nicht und damit wird es ein endloser Einsatz.
Dass die Regierung sich nicht um das Horn von Afrika kümmere, können Sie aber nicht sagen...
Die Bundesregierung ergeht sich in Selbstgefälligkeit, Und berichtet stolz, deutsche Soldaten hätten doch immerhin 24 Schiffe des Welternährungsprogramms sicher geleitet. Das ist richtig und gut, aber in kein keinster Weise ausreichend, da es nur einer von sieben im Mandat aufgelisteten Punkten ist. Und nur ein Promille des Schiffsverkehrs betrifft, der dort pro Jahr langfährt.
"Als Politiker möchte ich nicht auf den Feldherrnhügel steigen"
Was also ist Ihre Schlussfolgerung: Sollte die Bundeswehr die Mutterschiffe der Piraten kapern, mit Kampfschwimmern entern oder versenken? Soll die GSG9 doch noch eingreifen?
Das sind operative Details, für die ich nicht zuständig bin. Und ich möchte auch nicht als Politiker auf den Feldherrnhügel steigen. Noch einmal: Das Mandat sieht ausdrücklich als Aufgabe der Bundeswehr vor, Piratenschiffe aktiv zu bekämpfen. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung, bevor sie ein solches Mandat vorlegt, geprüft hat, ob und mit welchen Mitteln sie diese Aufgabe erfüllen kann.
Klingt jetzt aber sehr nach Oppositionsrhetorik...
Keineswegs. Die Regierung hat sich von vornherein als handlungsunfähig und -unwillig erwiesen. Wir haben das Mandat im Dezember verabschiedet, und dann ist die Regierung monatelang nicht in der Lage festzulegen, wie mit Piraten umgegangen wird. Also Ausführungsbestimmungen für den Fall festzulegen, für den sie das Mandat aufgeschrieben haben. Als dann die ersten Piraten verhaftet wurden, hat die Bundeswehr deren Waffen ins Meer geworfen – mit zwei absurden Begründungen. Auf dem 130 Meter langen Schiff sei kein Platz, um die Waffen unterzubringen. Und: Es gebe eine Anordnung, dass fremdländische Waffen nicht auf deutschen Schiffen gelagert werden dürfen. Die Folge ist: Bei dem derzeitigen Strafverfahren in Kenia fehlen wichtige Beweismittel.
"Bei der Bundeswehr herrscht ein sehr großes Grummeln"
Haben Sie mit Vertretern der Bundeswehr darüber gesprochen?
Ja, es herrscht bei der Bundeswehr ein sehr großes Grummeln und eine Unzufriedenheit darüber, wie restriktiv die Bundesregierung vorgeht. Wir können doch als größte Exportnation der Welt nicht hinnehmen, dass die Freiheit der Seewege nachhaltig beeinträchtigt werden.
Sie wollen deutsche Handelsschiffe schützen...
Nein. Auch Schiffe unter anderer Flagge fahren deutsche Güter in alle Welt und fahren Importgüter nach Deutschland. Also haben wir ein vehementes Interesse daran, diesen Piratenspuk zu beenden. Wenn das so weiter geht, betreiben die Piraten bald die größte Flotte der Welt.
Kritiker halten Ihnen entgegen, militärische Abschreckung sei genau die falsche Strategie, weil die Piraten dann nur in entlegenere Seegebiete ausweichen und kompromissloser vorgehen würden.
Das ist eine völlig falsche Sichtweise. Die Eskalation kommt doch nicht von denjenigen, die sich gegen Verbrecher wehren. Stellen Sie sich nur mal vor, zwischen Frankfurt und München werden ständige Lastwagen überfallen und ausgeraubt. Da würden Sie doch auch sagen: Das muss abgestellt werden. Egal, ob der Lkw aus Holland oder aus Deutschland kommt. Wir müssen den Gangstern ihr Handwerkszeug wegnehmen. Bei den Piraten heißt das vor allem: Wir müssen ihnen die Mutterschiffe wegnehmen.
Interview: Markus Jox