Fall Gustl Mollath - ein Problem für Horst Seehofer

Gustl Mollath wusste viel über Schwarzgeld. Die Justiz nannte das „Wahnvorstellungen“. Sie sperrte ihn weg. Jetzt soll es ein neues Gutachten geben. Weil Horst Seehofer Angst vor der Wahl hat
MÜNCHEN/NÜRNBERG Er zählt jede Sekunde: Seit 2467 Tagen, 59 208 Stunden, 213 148 800 Sekunden sitzt Gustl Mollath (56) gegen seinen Willen in der Psychiatrie. Auf seiner Homepage www.gustl-for-help.de, das Einzige, was ihm noch geblieben ist, tickt die Uhr der „gestohlenen Tage“. Vielleicht wird sie nun doch gestoppt. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) muss fürchten, dass der Eindruck entstehen könnte, in Bayern wird jemand in der Anstalt weggesperrt, damit Schwarzgeld-Geschäfte von einer „allseits bekannten Persönlichkeit“ nicht auffliegen. Ein solcher Justizskandal wäre das Letzte, was er im Wahljahr 2013 brauchen kann. Nun wird der Fall nach sieben Jahren zum Teil neu aufgerollt.
„Ich möchte in diesem Fall, dass man sich auf die Frage konzentriert, ob alles in Ordnung ist“, sagte Seehofer der „Süddeutschen Zeitung“. Längst ist der Fall Mollath, der immer wieder die Medien und den bayerischen Landtag beschäftigte, nicht mehr nur ein Problem der Justiz, sondern vor allem eines der Staatsregierung.
Ausgelöst hat die Lawine jetzt Florian Streibl, der Sohn des ehemaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl, den die CSU wegen Amigo-Vorwürfen davon gejagt hatte. Streibl ist Rechtsanwalt und Abgeordneter bei den Freien Wählern und lässt nicht mehr locker. Er droht mit einem Untersuchungsausschuss, fordert den Rücktritt von Justizministerin Beate Merk, die eine peinliche Rolle in dem Fall spielt, und ließ sogar ein Gutachten anfertigen, das schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft erhebt.
Angefangen hat alles in Nürnberg mit einem Rosenkrieg zwischen Mollath und seiner Frau. Die war Anlageberaterin bei der HypoVereinsbank. Er will beobachtet haben, wie sie und Kollegen Schwarzgelder ihrer Kunden in die Schweiz brachten, dort bei einer Bank einzahlten und auf das Konto eines anderen Geldinstituts umbuchten. Mollath wollte das unterbinden. Immer wieder kam es zum Streit. Einer endete mit einer Prügelei.
Mollath wird vor dem Nürnberger Amtsgericht wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung angeklagt. Er legt dem Richter eine „Verteidigungsschrift“ vor. Ein wirres Sammelsurium von 106 Seiten. Zwischen Briefen an den Papst, den Bundespräsidenten und Kanzler sind Schweizer Kontobelege, auf denen fünfstellige Summen auf Konten mit Tarnnamen, „Klavier“, „DVD“, „Pythagoras“ oder „Seligenstadt“ umgebucht werden. Mollath schreibt eine Strafanzeige, schildert detailliert die Schwarzgeld-Geschäfte. Das Gericht geht den Vorwürfen nicht nach. Die Nürnberger Staatsanwaltschaft sieht keinen Anfangsverdacht. Die Bundesanwaltschaft antwortet, sie sei nicht zuständig.
Für Mollath wird seine „Verteidigungsschrift“ zum Bumerang.
Das Gericht ist überzeugt, dass er an „Wahnvorstellungen“ leide und spricht von einem „Irrläufer“. Gutachter diagnostizieren eine „paranoide Wahnsymptomatik“. Er verschwindet in der Psychiatrie.
Nur die HypoVereinsbank geht den Vorwürfen nach und stellt fest, dass Mollath in Teilen recht hat. „Alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt“, heißt es in dem Bericht. Ihr Gutachten hält sie unter Verschluss. Bis die Nürnberger Steuerfahnder auf Grund eines Berichts in den „Nürnberger Nachrichten“ 2011 nun doch nachforschen und fündig werden.
Im Rechtsausschuss des Landtags spielt Justizministerin Beate Merk das HVB-Gutachten herunter. Sie verschweigt, dass die Bank Molath „Insiderwissen“ attestiert und ihm zum Teil recht gibt. Streibl: „Sie hat es marginalisiert und dem Landtag nicht die Wahrheit gesagt. Deshalb muss sie zurücktreten.“
Welche Rolle spielte die "allseits bekannte Persönlichkeit"?
Vor allem aber ist in dem Gutachten von einer „allseits bekannten Persönlichkeit“ die Rede, die zu den Kunden von Mollaths Frau gehörte. Streibl: „Da schießen die Spekulationen, wer das war. Und ob deswegen nicht ermittelt wurde.“
Erst nachdem Seehofer diese Woche die Gefahr erkannte und mit seiner Justizministerin redete, fordert nun die Nürnberger Generalstaatsanwaltschaft ein neues psychiatrisches Gutachten an. Streibl will auf Nummer sicher gehen: In einem Dringlichkeitsantrag verlangt er heute im Landtag einen „neutralen Beobachter“: Die Menschenrechtsbeauftragte der Landesärztekammer, Maria Fick, soll die Gutachter überwachen. Sie sprach bereits von einem „Freiheitsentzug, der nicht angemessen“ sei.
Merk begrüßte gestern ein neues Gutachten, bestritt aber einen Justizirrtum: „Wenn man einem Menschen die Freiheit nimmt, dann muss man das achtsam und höchst sorgfältig machen.“ Dies hätten die Gerichte getan.