Interview

"Du kannst ein Stinktier nicht überstinken": Wie die etablierten Parteien mit der AfD umgehen sollten - und was Aiwanger damit zu tun hat

Wie erfolgreich wird die AfD noch – und wer hat Schuld am Erstarken? Der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent analysiert die jüngsten Erfolge der Partei.
von  Lisa Marie Albrecht
Der 37-jährige Rechtsextremismusforscher Matthias Quent ist seit 2021 Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Davor leitete er das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena.
Der 37-jährige Rechtsextremismusforscher Matthias Quent ist seit 2021 Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Davor leitete er das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. © IDZ Jena

Magdeburg/München - Der Trend in den Umfragen geht für die Alternative für Deutschland (AfD) derzeit stark nach oben. Am sichtbarsten wurde das bei der Landratswahl im thüringischen Sonneberg, als die Partei erstmals ein solches Amt für sich gewinnen konnte. 

Rechtsextremismusforscher Matthias Quent sieht darin jedoch keinen Siegeszug der AfD, sondern eine Verfestigung aktueller Prozesse. Im AZ-Interview erklärt Quent, welche Gefahren für die politische Landschaft in Deutschland darin lauern und warum die Strategien der etablierten Parteien nicht fruchten.

AZ: Herr Quent, zuerst wird im thüringischen Landkreis Sonneberg mit Robert Sesselmann erstmals in Deutschland ein AfD-Landrat gewählt. Nun gibt es in Sachsen-Anhalt mit Hannes Loth einen AfD-Bürgermeister. Ist das der Anfang eines Siegeszugs der AfD?
MATTHIAS QUENT: Es ist kein Siegeszug, aber eine Fortsetzung der Etablierung und Normalisierung der AfD. Das war einerseits absehbar, andererseits ist es besonders problematisch, weil es einhergeht mit einer extremen Radikalisierung. Innerhalb der AfD kann man also doch von einem Siegeszug sprechen, nämlich dem des Höcke-Flügels. Und die Wahlen bieten eine neue Qualität an Einflussmöglichkeiten, die die AfD hat - vor allem durch die Normalisierung von unten.

Der 37-jährige Rechtsextremismusforscher Matthias Quent ist seit 2021 Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Davor leitete er das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena.
Der 37-jährige Rechtsextremismusforscher Matthias Quent ist seit 2021 Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Davor leitete er das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. © IDZ Jena

Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass man in kommenden Wahlkämpfen sagen kann: "Schaut, wir regieren doch schon auf Kommunalebene, warum traut man uns nicht auch zu, etwa auf Landesebene Verantwortung zu übernehmen? Wählt uns, wir sind regierungsfähig!" Das ist das Zeichen, das von diesen Wahlen ausgeht.

"Einfluss gewinnt die AfD so oder so"

Wie realistisch ist es denn, dass die AfD auf höheren politischen Ebenen Einfluss gewinnt?
Den Einfluss gewinnt sie so oder so, weil sie die Politik treibt. Das sieht man am neuen Grundsatzprogramm der CDU und auch in einigen Äußerungen, etwa, wenn Parteichef Friedrich Merz die Grünen zum Hauptgegner erklärt. Etwas anderes ist die Übernahme von direkter Regierungsverantwortung oder doch zumindest indirekter – sprich etwa die Mehrheitsbeschaffungen von Minderheitsregierungen. Das ist ein Szenario, auf das es bei den Wahlen in Ostdeutschland zunächst hinauslaufen könnte: dass sich CDU-Kandidaten mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen und mit wechselnden Mehrheiten regieren, auch mit Stimmen von Rechtsextremen.

Und dieses Szenario ist realistisch, wenn es so weitergeht wie bisher. Und damit meine ich weniger das Erstarken der AfD als vielmehr die Übernahme rechtsextremer Narrative und auch einer Polarisierung, die sich an den Grünen und der ökologischen Transformation abarbeitet und nicht an der AfD oder den Ursachen der Klimakrise. Die Frage der Regierungsverantwortung oder der noch stärkeren Machtgewinne der AfD entscheidet sich in der Mitte, das heißt vor allem in der CDU.

Ist die Union im Umgang mit der AfD auf dem Holzweg?
Der frühere CSU-Generalsekretär Markus Blume hat einmal über den Umgang mit der AfD zurecht gesagt: "Du kannst ein Stinktier nicht überstinken." Teilweise versucht man jetzt aber, das zu tun. Diese Strategie hat bisher noch nirgendwo geklappt. Im Zweifel dient es der Legitimierung der Machtgewinne der Rechtsradikalen.

"Wenn ich manche Tweets von Hubert Aiwanger sehe, dann frage ich mich, wo da der Unterschied zur AfD ist"

Thüringen und Sachsen-Anhalt sind nur die Spitze des Eisbergs. Zuvor sorgten Umfragen, die die AfD bundesweit bei knapp 20 Prozent sahen, für Schuldzuweisungen der anderen Parteien. Wer hat denn nun Schuld?
Wir haben seit Jahrzehnten rechtsextreme Potenziale in der Bevölkerung. Dass diese jetzt von der AfD zunehmend mobilisiert werden können hat unterschiedliche Gründe. So zu tun als könnte man das der einen politischen Entscheidung wie beispielsweise dem Heizungsgesetz, allgemein den Grünen oder auch irgendwelchen Äußerungen von Herrn Merz eindeutig zuschreiben, wird der Ernsthaftigkeit des Problems nicht gerecht. Die Spannungen liegen tiefer.

Die Partei ist vor allem in den ostdeutschen Bundesländern stark. Manche fragen sich, ob der Osten an die AfD "verloren" ist. Was sagen Sie?
Wenn ich manche Tweets von Hubert Aiwanger sehe, dann frage ich mich, wo da der Unterschied zur AfD ist. Populistisch-autoritäre Tendenzen sind nicht auf die AfD beschränkt. Das ist kein ostdeutsches Problem, aber hier im Osten ist unter anderem die Bindung an demokratische Parteien nicht so stark. Und natürlich gibt es ostdeutsche Spezifika: Es sind vier Millionen insbesondere gut gebildete Menschen in den 1990er Jahren abgewandert und die fehlen jetzt der Zivilgesellschaft. Werte des Liberalismus konnten nie richtig verankert werden.

Es gibt die stärkere Akzeptanz von Rechtsextremismus bis hin zur Gewalt seit den 1990er Jahren. Eine aktuelle Studie der Universität Leipzig zeigt, dass insbesondere Ausländerfeindlichkeit in Ostdeutschland sehr weit verbreitet ist und weit über den westdeutschen Werten liegt. Und es gibt auch eine größere Bereitschaft, sich extremistischen Parteien zuzuwenden, anstatt rechten Populismus im Gewand von demokratischen Parteien zu artikulieren, wie man das in Westdeutschland und auch in Bayern sehen kann. Aber wir sehen ja auch in Frankreich, Italien oder den USA: Das ist kein alleiniges Ostproblem.

Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger ist für seine Rede bei der Demo gegen das - nun angepasste - Heizungsgesetz der Bundesregierung stark kritisiert worden, insbesondere für den Satz, die Mehrheit müsse sich "die Demokratie zurückholen". Hat er die Brandmauer zur AfD durchbrochen?
Die Aussage ist ambivalent auslegbar. "Sich die Demokratie zurückholen" könnte man ja aus einem ernsthaften demokratischen Impuls heraus sagen. Es stimmt, dass Konzerne und Lobbygruppen zu viel Einfluss haben auf die Politik, dadurch wurde und wird die ökologische Wende blockiert. Man kann es aber eben auch in dem Sinne der neuen Rechten auslegen, dass hier eine Diktatur von kulturellen Eliten wirke, die uns diktieren würden, wie wir zu leben haben – als würde das nicht alles öffentlich ausgehandelt werden, im Gegensatz zu bestimmten Lobbyismen.

Und diese zweite Auslegung scheint er gemeint zu haben. Ich würde nicht sagen, dass das jetzt der Schulterschluss mit der AfD ist, aber es ist die sehr deutliche Übernahme von rechtspopulistischen und neurechten Motiven, was Wasser auf deren Mühlen ist. Man sollte die AfD jetzt aber auch nicht verharmlosen und sagen: Aiwanger und AfD ist das gleiche. Was man von ihm hört, ist populistisch und irreführend, was die AfD vertritt, ist umfassend demokratie- und menschenfeindlich.

Rechtsextremismusforscher Matthias Quent: "Wir sind mitten in einer gefährlichen Spirale"

CDU-Chef Merz wollte die Umfragewerte der AfD halbieren, womit er krachen gescheitert ist. Wie könnte das gelingen?
Machen wir uns nichts vor: überhaupt nicht. Das war von Anfang an eine Illusion. Wir haben einen Anteil der Bevölkerung der rechtsextrem, chauvinistisch und rassistisch eingestellt ist und der die AfD nicht aus Zufall oder Protest wählt, sondern weil sie genau das verkörpert, was man will. In Hinblick auf die schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen wie Krieg und insbesondere die drohende Klimakatastrophe und die Konflikte, die diesbezüglich erst noch auf uns zukommen, sowie die neuen Möglichkeiten für Desinformation und Manipulation durch Künstliche Intelligenz ist nicht davon auszugehen, dass die extreme Rechte verschwindet.

Gibt es gar kein Heilmittel?
Wir haben ein riesiges Bildungs- und Desinformationsproblem, das bei all den Diskussionen über die Ursachen und um das Narrativ, die Ampel sei schuld, aus dem Fokus gerät. Und das betrifft nicht nur das, was an Verschwörungsideologie bei Telegram passiert, sondern auch das, was etwa als "Heizungsverbot" dargestellt wird. Und darum muss man versuchen, diese Konflikte wieder zu informieren und politisieren oder sagen wir, wieder mit Inhalt zu füllen. Also nicht einfach sagen: Die AfD ist böse oder verkörpere nur den Protest, man braucht die besseren Argumente. Und manchmal wird es da schon ziemlich dünn. Gründet Sahra Wagenknecht eine Partei, dürfte das die AfD erheblich schwächen. Was die AfD angeht, darf aufgrund ihrer Verfassungsfeindlichkeit auch ein Verbotsverfahren kein Tabu sein.

"Die AfD schürt und verstärkt Ängste"

Sie haben die Klimakatastrophe angesprochen, deren Bekämpfung in der Praxis immer wieder für enorme Zerwürfnisse sorgt. Wie nutzt das die AfD?
Die AfD macht sich die Widersprüche aus der bestehenden Politik zunutze, schürt und verstärkt Ängste und redet den Leuten ein, die Klimakrise sei nur ein ideologisches Hirngespinst, also nicht real. Die Rechten verteidigen Privilegien, die in der Regel mit CO2-Emissionen und damit den Ursachen der Klimakrise entstanden sind. Unter den Folgen der Klimakrise und der unzureichenden Klimapolitik der Vergangenheit leiden vor allem die Schwächsten in der Gesellschaft und Menschen im globalen Süden.

Die AfD setzt auf Nationalismus: raus aus der EU und aus internationalen Abkommen hin zu einem autoritären Regime, dass sich gegen die Folgen der mitverursachten Katastrophe moralisch, ökonomisch, politisch und physisch abschottet. Sie spaltet die Gesellschaft, indem sie die ökonomische Mitte aufhetzt, die aber unter den Folgen der Klimakrise viel stärker leiden wird als die Superreichen, die dafür eine überdurchschnittliche Verantwortung tragen. Probleme, Kosten und Handlungsdruck werden in der Zukunft durch zu langsamen Klimaschutz im Heute noch zunehmen, wodurch der Reiz von Entsolidarisierung und Abschottung im Rechtsradikalismus anwachsen werden. Wir sind mitten in einer gefährlichen Spirale.

Man könnte meinen, die Stimmungsmache gegen Klimaschutz verfängt auch bei anderen Parteien. Der Razzia gegen die Letzte Generation folgte der Vorwurf, sie sei politisch motiviert gewesen. Stimmt das?
Dass man Straftaten verfolgt, ist die Aufgabe der Justiz. Wenn allerdings die Generalstaatsanwaltschaft einer richterlichen Bewertung vorgreift und sagt: Das ist eine kriminelle Organisation, deswegen müssen wir selbst Spenden unterbinden, ist das schon ein deutlich politischer Akt. Man ist dann ja auch zurückgerudert.

Dass die Ermittlungen ausgerechnet jetzt aus dem wahlkämpfenden Bayern kommen mit der Möglichkeit der Law-and-Order-Inszenierung gegen den Klimaaktivismus, ist doch sehr auffällig. Ich habe nicht sehen können, dass sich die Letzte Generation in irgendeiner Weise radikalisiert hat. Sie sind auf ihrem Niveau der Aktivitäten geblieben, es drohte keine besondere Gefahr. Die Durchsuchungen haben eine politische Dimension und passen zum antigrünen Zeitgeist.

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