Extremismus hat Hochkonjunktur

München - Extremisten aller Seiten haben derzeit auch in Bayern Hochkonjunktur. Der am Montag in München vorgelegte bayerische Verfassungsschutzbericht verzeichnet 91 rechts- und 122 linksextremistische Gewalttaten in Bayern im vergangenen Jahr. 2014 waren es noch 66 beziehungsweise 50 Straftaten. Die Zahl der Anschläge auf Asylbewerber- und Flüchtlingsheime verdreifachte sich auf 66.
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) äußerte sich besorgt über die "zunehmende Radikalisierung auf allen Gebieten, deren Folgen nicht zu unterschätzen sind". Wie immer in solchen Situationen schaukeln sich die Extremisten von Rechts und Links gegenseitig hoch: Je mehr Stimmung die Rechten machen, umso gewaltbereiter wird die radikale Gegenseite, vor allem repräsentiert durch die so genannte autonome Szene. Deren Spezialität sind neben Übergriffen auf die Neonazis auch Gewalt gegen Polizeibeamte.
Auf diese Entwicklung und die erhöhte Terrorgefahr durch den Islamismus regiert Bayern mit einer Aufstockung der Personalstärke des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) um 97 Stellen (22 Prozent). Alarmiert ist man dort auch durch Informationen, nach welchen zwei der Attentäter vom 13. November 2015 in Paris offenbar mit dem Flüchtlingsstrom über Bayern nach Europa eingereist ist.
Herrmann: "Mir nichts dir nichts" Grenzkontrollen abbauen ist falsch
Er habe schon lange davor gewarnt, dass sich Terroristen unter den Strom der Flüchtlinge mischen könnten, reagierte der bayerische Innenminister auf aktuelle Äußerungen des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen. Obwohl das "Durchwinken" auf der Balkanroute jetzt beendet sei, lasse doch die Sicherung der Außengrenzen des EU-Schengen-Raumes weiter zu wünschen übrig, so Herrmann.
Brand in Flüchtlingsunterkunft: Syrer legte Feuer selber
Daher könne man nicht "mir nichts dir nichts" die Kontrollen an den Binnengrenzen abbauen, bekräftigte der CSU-Politiker seine Kritik an entsprechenden Plänen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Außerdem erneuerte Herrmann seine Forderung nach einem EU-weiten Ein- und Ausreiseregister.
Die Flüchtlingskrise beflügele die rechtsextreme Szene zu immer mehr legalen, halb legalen und illegalen fremdenfeindlichen Aktivitäten. Für den ideologischen Überbau sorgten Parteien wie die NPD, "Der III. Weg" und "Die Rechte", sagte Herrmann. Dass Personen aus diesem Umfeld vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckten, hätten Durchsuchungen im Oktober 2015 in Ober- und Mittelfranken ergeben, bei denen Kugelbomben, Elektroschocker und eine Pistole gefunden worden seien.
Vier Pegida-Ableger unter Beobachtung
Auch im Visier der bayerischen Verfassungsschützer sind vier bayerische Ableger der "Pegida"-Bewegung, nämlich Pegida München, Pegida Nürnberg, NüGIDA (ebenfalls Nürnberg) und "Pegida Franken" (Würzburg). "Alle vier hetzen gegen Muslime und Asylbewerber muslimischen Glaubens", sagte Herrmann. Unter den registrierten rechtsextremen Straftätern ist auch ein NPD-Funktionär, der bei einer Grünen-Veranstaltung in Goldbach (Landkreis Aschaffenburg) einen Teilnehmer geschlagen hatte.
Nicht unter Beobachtung des LfV ist nach Angaben von dessen Präsidenten Burkhard Körner die AfD. Das gelte trotz eines Papiers der AfD Niederbayern, das die Schließung von Moscheen fordert. Die AfD habe sich davon offiziell distanziert, sagte Körner. Das schließe aber nicht aus, dass der bayerische Verfassungsschutz extremistische Einzelpersonen in der Anhängerschaft der AfD beobachte.
Ein bemerkenswertes Detail: Die gelegentlich der Kontakte zum Rechtsextremismus verdächtigte Rocker-Szene arbeitet zumindest in Bayern mit den Rechten nicht zusammen, geht aus dem Bericht des LfV hervor. Der Grund, so Herrmann, "dürfte im vergleichsweise hohen Anteil von Migranten in der Rockerszene liegen".
Der Rechtsextremismus-Experte der SPD-Landtagsfraktion Florian Ritter forderte, Rassismus zu einem "eigenen Arbeitsschwerpunkt des Verfassungsschutzes zu machen". Rassismus sei nicht nur in der rechtsradikalen Szene beheimatet, stellte der SPD-Politiker besorgt fest. Deshalb müsse man die Ideologie selbst zum Arbeitsschwerpunkt machen.
Bayern sei keineswegs überdurchschnittlich von rechter Gewalt betroffen, sagte Herrmann. In Hamburg sei die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsheime im vergangenen Jahr gegenüber 2014 von zwei auf 14, in Mecklenburg-Vorpommern von fünf auf 48, in Niedersachsen von sieben auf 81, in Rheinland-Pfalz von einem auf 27, in Schleswig-Holstein von null auf 30 und in Nordrhein-Westfalen von 25 auf 213 angestiegen. Die Grünen sollten sich erkunden, wie es in den Ländern aussehe, in denen sie mitregierten, so Herrmann.