Interview

Extremismus-Forscher Karsten Fischer: "Das Lebenselixier der Demokratie bekämpfen"

Die westlichen Länder stehen im Inneren wie im Äußeren unter Druck durch aggressive Feinde - Politikwissenschaftler Karsten Fischer sagt, wie groß die Gefahr ist.
von  Clemens Hagen
Karsten Fischer
Karsten Fischer © privat

München - AZ-Interview mit Karsten Fischer: Der 54-Jährige ist Professor für Politische Theorie am Institut für Politikwissenschaft der LMU in München.

Karsten Fischer: Demokratie schon immer ein wackliges Gerüst

AZ: Herr Professor Fischer, muss die Demokratie um ihr Überleben fürchten? Im Westen, in den USA, will es Trump noch einmal wissen. Im Osten stehen Putins Panzer an der Grenze zur Ukraine. Und im Inneren hat sich der Staat immer radikalerer Anti-Corona-Proteste zu erwehren.
KARSTEN FISCHER: Es ist eine Lehre aus der Geschichte, dass man immer um das Überleben von Demokratien fürchten muss. Schon im antiken Griechenland, wo die Demokratie bekanntlich erfunden worden ist, war sie stets bedroht von Tyrannen. Das 20. Jahrhundert war geprägt vom Überlebenskampf der Demokratien gegen ihre Bedrohung durch totalitäre Regime rechter und linker Art. Und nach dem vorübergehenden Optimismus durch die friedlichen Revolutionen von 1989 sind nun nicht nur die Demokratien in den damaligen Transformationsstaaten in Gefahr, zumal ganz besonders in Polen und Ungarn, während Russland unter Wladimir Putin ja schon längst keine Demokratie mehr ist.

Es sind aber beileibe nicht nur die Demokratien Osteuropas, die unter Druck stehen, oder?
Absolut. Boris Johnson hat in Großbritannien versucht, jene Parlamentsrechte zu beschränken, deren Einführung dort Ende des 17. Jahrhunderts den rund zweitausendjährigen Dornröschenschlaf der Demokratie beendet hatte. Und in den USA ist am 6. Januar 2021 nichts weniger verhindert worden als ein Putschversuch des abgewählten Präsidenten Trump, der sich unter Missachtung eines demokratischen Wahlergebnisses und mit Hilfe des von ihm gerufenen Mobs an der Macht halten wollte wie ein Diktator irgendeiner obskuren Bananenrepublik.

"Alternative Facts" als Bedrohung der Demokratie

Gibt es so etwas wie eine gemeinsame Strategie, die die Demokratiefeinde eint?
Es wird ein wesentliches Lebenselixier der Demokratie bekämpft, und das ist die vorurteilsfreie öffentliche Diskussion auf der Basis nachvollziehbarer Fakten. Die Erfindung von "Alternative Facts" durch Trumps Beraterin Kellyanne Conway kann gar nicht überschätzt werden als Basis von Corona-Protesten, die sich nicht nur durch besondere Unbelehrbarkeit auszeichnen, sondern auch durch Missachtung des demokratischen Mehrheitsprinzips. Aber man muss auch das Positive sehen: Trump ist abgewählt und der Putsch ist verhindert worden, und der Höhenflug des Populismus ist gebremst.

Der autoritäre Populismus hat in allen Staaten, in denen er an der Macht ist, mit seiner Corona-Leugnung mehr Opfer gekostet als es sie in liberalen Staaten gegeben hat.
Wenn solche Fakten zur Kenntnis genommen werden, scheitert die populistische Strategie, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben und von dieser Spaltung und dem entsprechenden Hass zwischen gesellschaftlichen Gruppen zu profitieren. Es ist kein Zufall, dass es dort, wo viel AfD gewählt wird, auch die meisten Impfgegner gibt.

Fischer: Putin hat einige Problemstellen

Zurück zur Weltpolitik: Putin strebt nach alter Sowjet-Herrlichkeit und China nach wirtschaftlicher Dominanz auf der Erde, während die westlichen Demokratien nur verängstigte Zuschauer sind. Stimmt dieser Eindruck?
Die Situation in Russland ist für die Ukraine gerade deshalb gefährlich, weil sie nicht aus Putins Stärke, sondern aus seiner Schwäche resultiert. Einerseits träumt er den neo-imperialen Traum von einer von Russland dominierten eurasischen Wirtschaftsunion, die er andererseits mit seinem Handeln noch unrealistischer macht, als sie es ohnehin ist. In Kasachstan hat Putin ein ungelöstes Riesenproblem, und seine Zustimmungswerte in der russischen Bevölkerung werden nicht besser, je schlechter die wirtschaftliche Lage wird. Und jede autoritäre Regierung schädigt die eigene Wirtschaft, wie sich derzeit gerade wieder in der Türkei zeigt.

"China ist wirtschaftlich ein Koloss, der auf tönernen Füßen steht"

Dementsprechend hat sich der Kreml selbst in eine Sackgasse manövriert, oder?
Immer wieder neue Konflikte zu schüren, ist keine erfolgsträchtige Strategie und zeugt nicht von politischer Klugheit. Klar ist aber, dass man sich von einem solchen Regime möglichst unabhängig halten sollte, erst recht, was die Ressourcenzufuhr angeht. Das Gegenmodell zu Putins Russland ist China. Hier setzt man bislang auf wirtschaftliche Stärke, was auch den in Afrika und mit dem Projekt der Neuen Seidenstraße schon deutlich gewordenen, imperialen Ambitionen dient. Allerdings ist Chinas Wirtschaft bekanntlich ein Koloss auf tönernen Füßen, und man kann ihr nur Stabilität wünschen, da niemand unberechenbarer und gefährlicher ist als ein schwankender Koloss.

Die Europäische Union, so fordern es Politiker fast aller Couleur, müsse endlich mit einer Stimme sprechen lernen - sonst würden die einzelnen Länder in Bedeutungslosigkeit versinken. Ist dem so?
Ja und Nein. Vielfalt ist eine Stärke Europas, und eine gemeinsame Stimme ist generell weder realistisch noch wünschenswert. Aber die schon seit langem geforderte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wäre dringend notwendig.

Hassprediger: Ein wütender Politiker stachelt eine Menge mit aufrührerischer Rede auf.
Hassprediger: Ein wütender Politiker stachelt eine Menge mit aufrührerischer Rede auf. © imago images/Ikon Images

Fischer: Deutsche Demokratie besitzt politische Standkraft

Was kann ein Land wie Deutschland, wirtschaftlich ein Riese, militärisch ein Zwerg, tun? Ist es an der Zeit, eine neue, wehrhaftere Form der Demokratie zu entwickeln? Und wenn ja, wie könnte diese aussehen?
Wehrhafte Demokratie ist ein innenpolitisches Konzept zum Schutz vor Verfassungsfeinden. Diesbezüglich ist die Bundesrepublik Deutschland sehr gut aufgestellt, sofern die entsprechenden Möglichkeiten auch wirklich umgesetzt werden. Die militärische Stärke ist eine andere, außenpolitische Frage, und diesbezüglich ist es dringend erforderlich, das mehr als großzügige Angebot Frankreichs anzunehmen, Deutschland mit unter den Schutzschirm seiner Nuklearwaffen zu nehmen, zumal eine enge Verbindung zwischen Deutschland und Frankreich gleichsam die Pulsader Europas ist und also auch in dieser Hinsicht wünschenswert.

Deutschland setzt in der Ukraine-Krise auf Beschwichtigungs-Politik - machen es sich Bundesregierungen, die alte wie die neue, damit nicht zu einfach? Garantiert allein schon politische Konfliktscheu politisches Überleben?
Naheliegenderweise ist das Gegenteil richtig. Daher kursierte schon in der römischen Antike der Satz Si vis pacem, para bellum: Wenn Du den Frieden willst, bereite den Krieg vor. Und die Berufung auf die deutsche Geschichte taugt spätestens seit der von der damaligen rot-grünen Bundesregierung unterstützten Nato-Intervention in Jugoslawien 1999 nicht mehr als Politikbegründung.

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