Experten warnen vor Schweinegrippe-Impfung
Die EU erwartet im Herbst einen dramatischen Anstieg der Krankheitsfälle. Doch Mediziner schlagen wegen der geplanten Massenimpfung Alarm - auch wegen ihrer Meinung nach mangelhaften Sicherheitstests.
Der Arzt und Herausgeber des pharmakritischen «Arznei-Telegramms», Wolfgang Becker-Brüser, hat die geplante Massenimpfung gegen die sogenannte Schweinegrippe scharf kritisiert. «Was wir hier erleben, ist ein Großversuch an der deutschen Bevölkerung», sagte Becker-Brüser dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel». Hintergrund der Warnung sei, dass die Sicherheitstests der Musterimpfstoffe nicht besonders umfangreich sein mussten, schreibt das Magazin.
Lediglich häufige Nebenwirkungen, die mindestens bei einem von 100 Geimpften auftreten, sollten demnach erkannt werden. Bei 25 Millionen Bundesbürgern, die im ersten Durchgang geimpft werden sollen, bedeute das rechnerisch: Fast 250.000 Menschen könnten eine schlimme Impfreaktion erleiden, ohne dass dies in den vorangegangenen Sicherheitsstudien aufgefallen wäre. Der Abteilungsleiter Gesundheit im Bremer Senat, Matthias Gruhl, hält die Impfungen gegen die auch als Mexikanische Grippe bekannte Krankheit möglicherweise für überflüssig. «Wenn der Verlauf der Schweinegrippe so harmlos bleibt wie jetzt, wäre ein Massenimpfprogramm nicht gerechtfertigt», sagte er dem «Spiegel». Derzeit gebe es keine Anzeichen dafür, dass eine «zweite, viel schlimmere Welle der Schweinegrippe auf uns zurollt». Dagegen rechnet die EU mit einem dramatischen Anstieg der Schweinegrippe-Fälle im Herbst auf mindestens eine Million. Derzeit sind insgesamt 24.200 Erkrankte gemeldet. Auch die Zahl der Toten werde deutlich zunehmen, sagte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Europäischen Parlaments, Jo Leinen (SPD), der «Neuen Osnabrücker Zeitung». «Diese Schätzung ist sehr konservativ. Die Skala ist nach oben offen und kein Land in der EU wird verschont bleiben», sagte Leinen. Sollte das Virus im Herbst sich mit anderen Viren kombinieren, müsse auch mit einer Verschlimmerung des bislang recht milden Krankheitsverlaufs gerechnet werden, so Leinen. «Davor haben alle Experten derzeit die größte Sorge.» Nach Leinens Angaben sollen 150 Millionen Europäer mit einem Impfstoff gegen das Virus H1N1 versorgt werden. Damit würden allein für den Impfstoff innerhalb der EU Kosten von 2,5 bis 3 Milliarden Euro entstehen. «Die Schweinegrippe wird zum Testfall für die Solidarität unter den EU-Ländern», sagte Leinen. EU-Mitglieder, die wegen der Weltfinanzkrise finanziell am Abgrund stünden, könnten nicht in der Lage sein, ausreichende Mengen an Impfstoff zu bezahlen. «Hier muss die EU Solidarität zeigen», forderte Leinen. Er forderte einen Stufenplan, um die Vorsorgung mit Impfstoff zu gewährleisten. «Krankenhausmitarbeiter, Polizei und Risikogruppen wie Schwangere, Kinder und Jugendliche müssen europaweit zunächst bedacht werden.» Es dürfe nicht nach dem Prinzip gehen, welches Land als erstes bestellt und bezahlt, bekommt den Impfstoff, sondern nach dem Prinzip: Wo die größte Not ist, muss auch die größte Menge an Impfstoff hin. (nz/epd/dpa)