Interview

Experte zur Russland-Wahl: "Wladimir Putin liebt unerwartete Schritte"

Was geschieht in Russland nach der Wahl? Wird die Repression zunehmen? Wird weiter mobilisiert? Der russische Politologe Andrej Perzew spricht im AZ-Interview über die Folgen der Scheinwahl.
von  Ruslan Suleimanov, Roland Bathon
Sein Sieg bei der Präsidentschaftswahl stand von vornherein fest: Kremlchef Wladimir Putin.
Sein Sieg bei der Präsidentschaftswahl stand von vornherein fest: Kremlchef Wladimir Putin. © Uncredited/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Nach der als Farce kritisierten Präsidentschaftswahl in Russland feiert der Machtapparat Kremlchef Wladimir Putin als Sieger. Der 71-Jährige, der seit rund einem Vierteljahrhundert am Ruder ist, erhielt laut der Wahlkommission mehr als 87 Prozent der Stimmen. Dabei handelt es sich um ein Rekordergebnis, das allerdings Beobachtern zufolge nur durch Repression, Zwang und Betrug erreicht worden sein soll. Schon vor Beginn der dreitägigen Abstimmung am vergangenen Freitag hatten auf dem Roten Platz in Moskau Vorbereitungen für eine große Siegesfeier begonnen. Wie geht es nun weiter?
Die AZ hat Andrej Perzew darüber gesprochen. Der russische Politologe ist Gast-Experte beim Carnegie-Zentrum Russland & Eurasien, einer Berliner Nichtregierungsorganisation. Er ist Sonderkorrespondent der exilrussischen Zeitung "Medusa" und war davor Korrespondent von "Kommersant" in Moskau.

AZ: Herr Perzew, wird Putin nach seiner Wiederwahl in seiner Mannschaft Leute auswechseln, sind sogar Rücktritte wie der von Außenminister Sergej Lawrow möglich?
Andrej Perzew: Bisher deutet alles darauf hin, dass Putins offizielle Nummer zwei, Premierminister Michail Mischustin, sein Amt behalten wird. Da nach der Wahl mit Steuererhöhungen zu rechnen ist, könnte Mischustin als früherer Leiter der Steuerbehörde sehr nützlich sein. Lawrow will eigentlich schon seit langem gehen, und sein Rücktritt wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wirklich stattfinden. Aber vergessen wir nicht, dass viele Dinge im Kreml im letzten Moment entschieden werden. Putin liebt unerwartete Schritte.

Wird es solche Änderungen gleich nach der Wahl geben?
Nein, sie werden im Mai nach Putins offizieller Amtseinführung stattfinden. Laut Gesetz muss das neue Staatsoberhaupt die Regierung auflösen. Das ist der Zeitpunkt dafür.

Wird es dann auch unpopuläre Maßnahmen geben? Etwa eine neue Mobilmachung oder einen Übergang zur Kriegswirtschaft?
Der Kreml will nicht auf eine Kriegswirtschaft umstellen, da die russische Bevölkerung keine Lust hat zu kämpfen. Die Behörden tun ihr Bestes, um die berüchtigte Stabilität aufrechtzuerhalten. Was eine neue Mobilisierungswelle angeht, so hängt da viel von Putins Stimmung ab. Vorerst braucht er keine, um den Status quo zu bewahren. Aber selbst wenn er der Meinung ist, die Ukraine sei schwach und er könne so weitermachen, ist eine Mobilisierung möglich. Viele Leute in der Regierung halten sie für unvermeidbar. Andererseits sind auch viele Zivilbeamte dagegen. Egal wie Putin entscheidet - niemand wird ihm widersprechen.

Ziele von Wladimir Putin: "Was die Kriegspläne angeht, kann man nur feststellen, dass sie weiter unklar sind"

Vielen fällt auf, dass Putin Wörter wie "Demilitarisierung" oder "Denazifizierung" der Ukraine seltener verwendet. Haben sich da die Ziele des Kreml-Chefs in den letzten beiden Jahren geändert?
Die Begriffe sind bei Putin und anderen Beamten immer noch präsent. Es steckt hinter beiden aber immer noch keine konkrete Bedeutung. Was die Kriegspläne angeht, kann man nur feststellen, dass sie weiter unklar sind. Diese Pläne befinden sich nur im Kopf einer bestimmten Person. Wenn Putin beispielsweise einen Vormarsch der russischen Truppen an der Front sieht, könnte er durchaus beschließen, eine neue Mobilisierung anzukündigen, um mehr Druck zu machen. Schwierig sind Voraussagen vor allem, weil Putins Selbstwahrnehmung oft nicht mit der Realität übereinstimmt.

In Deutschland fordern viele Verhandlungen mit Russland. Ist eine solche Option für den Kreml relevant?
Der Kreml hält an seinen Bedingungen für den Abschluss etwaiger Vereinbarungen fest. Er möchte die Gebiete behalten, die Russland während der Invasion erobert hat. Das passt der Ukraine natürlich nicht. Deswegen ist es immer noch schwierig, über den Beginn von Friedensverhandlungen zu reden.

Erwarten Sie, dass die Repressionen in Russland gegen Nichteinverstandene nach der Wahl zunehmen werden?
Leider ja. Täglich sehen wir neue Meldungen über die Einleitung von Strafverfahren, Durchsuchungen und anderes. Ich sehe nicht, dass das endet. Da die Behörden nicht einmal im Wahlkampf gezögert haben, werden sie sich danach erst recht nicht zurückhalten. Nach den Wahlen wurde es schon früher immer schlimmer, sowohl bei politischen als auch bei bürgerlichen Freiheiten.

Zukünftige Rolle von Julia Nawalnaja: "Verstehe nicht, warum die Opposition eine einzelne Führungsfigur braucht"

Sprechen wir über die Opposition im Exil. Hier gibt es die Meinung, dass nach dem Tod von Nawalny dessen Frau Julia Nawalnaja die Führung einer vereinigten Opposition übernehmen sollte. Was sagen Sie?
Der Status des Anführers wird nicht vererbt. Inwieweit es ihr gelingen wird, Menschen auf ihre Seite zu ziehen, fällt mir immer noch schwer einzuschätzen. Bisher sehe ich diese Entwicklung noch nicht als sicher an. Und ich verstehe auch ehrlich gesagt nicht, warum die Opposition eine einzelne Führungsfigur braucht. Ja, der Westen kann mit Julia Nawalnaja als Vertreterin Russlands zusammenarbeiten. Aber auch das macht sie noch nicht zur Oppositionsführerin.

Wäre es ein Problem für den Kreml, wenn die Legitimität von Putins Wiederwahl nicht anerkannt wird?
Wir sehen, dass der Kreml weiter andeutet, dass Putin zum Dialog mit dem Westen bereit sei. Aber dennoch redet keiner mit ihm. Dennoch ist er in der Wahrnehmung derjenige, der die großen Entscheidungen, gerade im Hinblick auf die Ukraine, trifft. Wenn Sie beispielsweise einen russischen Truppenabzug verhandeln wollen, müssen Sie natürlich mit ihm reden.

Die Anerkennung der Legitimität der Wahl ist also wichtig?
Nein, ich denke, das ist nicht mehr so wichtig. Weder für den Westen noch für Putin selbst.

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