Putin sollte ein Angebot von Trump nicht ausschlagen: „Das wird es schwer machen, Nein zu sagen“

Donald Trump wird der nächste US-Präsident. Bedeutet das eine Verständigung mit Russland? Wie Putin zu den USA steht, skizziert Professor Alexander Libman, Leiter der Abteilung Politik am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin.
AZ: Herr Libman, die US-Präsidentschaftswahl hat weltweit Schlagzeilen gemacht. Auch in Russland verfolgte man das aufmerksam. Welche Erwartungen gibt es in den russischen Eliten für Trumps neue Amtszeit?
ALEXANDER LIBMAN: Ich glaube, die Erwartungen der russischen Elite sind gespalten. Einerseits sieht man mit Donald Trump zumindest eine Möglichkeit, dass die Situation sich in den russisch-amerikanischen Beziehungen und vor allem in der Einstellung der USA zum Ukrainekonflikt verändert. Eine solche hat man bei Harris nicht gesehen. Man verknüpft mit Trump aber keine konkreten Erwartungen, was er jetzt tun wird. Andererseits gibt es in der russischen Spitze keine großen Hoffnungen auf eine einschneidende Verbesserung der Beziehungen zu den USA. Auch nicht unbedingt den starken Wunsch, diese Beziehungen zu verbessern.
"Russland stuft Deutschland nicht als souverän ein"
Sieht die russische Bevölkerung das auch so?
Von diesen Punkten ist für die russische Bevölkerung nur der erste wichtig. Man denkt nicht viel über strategische Beziehungen zu den USA nach. Aber man hofft, dass sich mit Donald Trump letztendlich irgendwas bewegt.
Wie schauen für Moskau die idealen Beziehungen zu den USA aus? Sie meinten in einer Analyse, Moskau strebe einen "Big Deal" an. Was bedeutet das?
Wenn wir auf die langfristigen Beziehungen zwischen Russland und den USA schauen, da gab es verschiedene Epochen. Am Anfang von Putins Amtszeit sah sich Russland als klarer Verbündeter der USA, und man hat damals ziemlich viel zugelassen, was heute undenkbar wäre, etwa die Versorgung der US-Truppen in Afghanistan über russisches Territorium.

Zumindest vor dem Krieg in der Ukraine bestand eine Hoffnung Moskaus darin, dass man eine Art "Jalta 2.0" erreicht mit Staaten, die Russland als souverän einstuft. Die Rede ist dabei nicht von Deutschland - das zählt man dort nicht dazu. Es geht vor allem um die USA und Russland, die sich treffen, Einflusszonen festlegen und sich verpflichten, sich in die gegenseitigen Angelegenheiten nicht einzumischen. Zusammenarbeit zum Vorteil beider Eliten in gewissen Bereichen. Es wäre eine Weltordnung, in der die Position Russlands gesichert ist.
Spielt Rüstungskontrolle hier eine Rolle?
Ja, es gibt Aspekte der Rüstungskontrolle, die damit unmittelbar verbunden waren. Ein Beispiel: die Entscheidung von George Bush, den ABM-Vertrag zu kündigen. Das hat Russland damals als Bedrohung wahrgenommen. Außenminister Lawrow betont immer ein bestimmtes Konzept: Man darf nicht die eigene Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer gewährleisten. Aber jetzt haben die USA unter Joe Biden Russland mehrmals angeboten, sofort Verhandlungen über eine Rüstungskontrolle zu beginnen. Ohne irgendwelche Vorbedingungen. Russland hat das abgelehnt. Das heißt, zum jetzigen Zeitpunkt ist das nicht das Wichtigste in der russischen Version des "Big Deal".

Donald Trump setzt mit "America first" auf die Innenpolitik. Gleichzeitig unternimmt Wladimir Putin Schritte in Richtung einer Vereinigung des "globalen Südens" unter Russlands Führung. Wie schätzen Sie die Folgen ein?
Für Donald Trump bedeutet "America first" vor allem keine Dienste für die globale Gemeinschaft auf Kosten der amerikanischen Steuerzahler. Putin hat diese Einstellung nicht. Für ihn ist die geopolitische Dominanz wichtiger als Wohlbefinden der russischen Steuerzahler. Ich kann mir vorstellen, dass Russland unter Putin viel aktiver weltpolitisch agieren wird als die USA unter Donald Trump. Die Frage ist, wie all das im "globalen Süden" ankommt. Der "globale Süden" ist auf jeden Fall nicht auf der Seite der USA und der EU, ist aber auch nicht wirklich auf der russischen.
"Das wird es Putin schwer machen, Nein zu sagen"
Was beeinflusst diese Stimmungen?
Stellen wir uns mal vor, Donald Trump macht jetzt tatsächlich Russland ein Angebot. Dann wird die Einstellung des "globalen Südens" es für Putin unglaublich schwer machen, Nein zu sagen. Denn diese Leute waren bereit, Putins Rhetorik über westlichen Imperialismus abzukaufen, solange der Westen keine Zugeständnisse machte. Falls Donald Trump jetzt mit Angeboten kommt und Putin diese ablehnt, kann ich mir vorstellen, dass Länder wie Brasilien oder Indien kein Verständnis für diese russische Haltung haben.

Meinen Sie, den Kreml beunruhigt die Möglichkeit solcher Angebote?
Ein Szenario, das oft diskutiert wurde, ist, dass Donald Trump versucht, gleichzeitig Druck auf Russland und auf die Ukraine auszuüben. Die Ukraine ist von amerikanischen Waffenlieferungen abhängig. Aber Druck auf Russland funktioniert nur dann, wenn Putin dem amerikanischen Präsidenten abkauft, dieser werde bestimmte rote Linien überschreiten. Unter Trump ist das glaubwürdig. Als Putin so einen Trumpf ausspielte, rätselte die ganze Welt, was in seinem Kopf vorgeht. Wenn Trump dasselbe macht, ergibt sich eine völlig andere Situation.