AfD durch Experte entlarvt: "Jetzt tritt offen zutage, was sie wirklich wollen"

Über die Jahre haben AfD-Politiker immer wieder provoziert und die Empörung ausgesessen. Nach dem Treffen von Mitgliedern mit Rechtsradikalen in Potsdam und den anschließenden Massenprotesten scheint das nicht mehr möglich.
von  Bernhard Hiergeist
Reicht nach den Massenprotesten gegen die AfD Weglachen oder braucht es andere Maßnahmen? Die Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel.
Reicht nach den Massenprotesten gegen die AfD Weglachen oder braucht es andere Maßnahmen? Die Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel. © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Wie günstig die Zeiten für die Alternative für Deutschland (AfD) sind, kann man auch daran ablesen, dass der Verlust von anderthalb Prozentpunkten als "Absturz" firmierte. Von 23 auf 21,5 Prozent fiel die Partei in einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts insa. Die hatte die "Bild"-Zeitung in Auftrag gegeben, um herauszufinden, ob die Massenproteste für Demokratie und gegen Rechts in zahlreichen deutschen Städten irgendeinen Effekt auf das Wählerverhalten gehabt haben.

Die Antwort lautet: Ja aber. Ja, die AfD hat offenbar etwas Gunst verloren. Aber sehr wenig. Und keine andere Partei konnte der Umfrage zufolge zulegen. "Verluste so groß wie seit Jahren nicht mehr", hieß es in der "Bild" und das mag korrekt sein, aber angesichts der spärlichen Verluste auch Anlass zum Schulterzucken.

Ein kleiner Dämpfer für die AfD, allenfalls. Aber einer, der zeigt, dass es möglicherweise nicht mehr so weitergehen kann wie bisher. Die Partei ringt mit ihrem Umgang mit den Ereignissen.

Früher war der Fall klar: Die ehemalige Parteivorsitzende Frauke Petry stellte einmal die Möglichkeit in den Raum, an der Grenze auf Migranten schießen zu lassen. Der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland nannte Hitler und die Nazis einen "Vogelschiss in der Geschichte". Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender im thüringischen Landtag, nannte das Holocaustdenkmal in Berlin ein "Denkmal der Schande". Es folgte zwar jeweils ein Sturm der Empörung auf diese Provokationen. Die Partei reagierte gemeinhin mit Aussitzen, Themenwechsel, mit Klagen darüber, falsch verstanden worden zu sein, oder damit, sich selbst zum Opfer umzudeuten. Und irgendwann war die Aufregung abgeklungen.

Aufregung über "Geheimtreffen" von Rechtsextremen in Potsdam

Eine Taktik, die nun nicht mehr aufzugehen scheint. Mit Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt gelten laut Verfassungsschutz bereits drei AfD-Landesverbände als "gesichert rechtsextremistisch". Und die Aufregung über ein Treffen von Politikern der AfD und CDU mit Vertretern der Identitären Bewegung und weiteren Rechtsextremisten in einem Hotel in Potsdam, die aufgrund einer Recherche des Portals "Correctiv" angestoßen wurde, ebbt nicht ab. 

"Natürlich gibt es Kenner der AfD und ihres Umfelds, für die war die Enthüllung von ‚Correctiv‘ nicht unbedingt etwas Neues", erklärt Felix Kolb im Gespräch mit der AZ. Er hat als Politikwissenschaftler zu sozialen Bewegungen geforscht und ist Vorstand von Campact, einem Verein, der Bürgerbewegungen und Petitionen organisiert. Kolb sagt: "Aber für eine große Masse könnte es etwas gewesen sein, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat."

Der Politikwissenschaftler Felix Kolb ist Geschäftsführer von "Campact" und hat zu den Auswirkungen sozialer Bewegungen geforscht.
Der Politikwissenschaftler Felix Kolb ist Geschäftsführer von "Campact" und hat zu den Auswirkungen sozialer Bewegungen geforscht.

Möglich, dass bei Gauland, Petry, Höcke das Spiel der Empörungsspirale nicht mitgespielt werden wollte, aber die Grenze überschritten ist, wenn sich Politiker mit bekannten Rechtsextremisten treffen. Und plötzlich werden intensiv Begriffe diskutiert wie "Remigration", die bei dem Potsdamer Treffen im Fokus stand.

"Jetzt tritt offen zutage, was sie wirklich wollen": Experte sieht AfD entlarvt

"Die AfD ist sehr gut darin, ihre Absichten hinter harmlos klingenden Begriffen zu verstecken", sagt Kolb. Und grundsätzlich sei es legitim, wenn sich demokratische Parteien darüber streiten, wie mit Migration umgegangen werden soll. Das sei aber klar zu unterscheiden von dem, was die AfD wolle. "Nämlich Millionen von Menschen abzuschieben, unabhängig von deren rechtlichem Status. Das hat mit einer politischen Debatte nichts mehr zu tun", sagt Kolb. "Insofern ist der Partei jetzt die Maske vom Gesicht gerissen worden und es tritt offen zutage, was sie wirklich wollen."

Wie mit dieser Offenbarung umgehen? Wird parteiintern über den großen Zulauf bei den Demonstrationen diskutiert? Gibt es Überlegungen, die politische Ausrichtung zu hinterfragen? Eine Anfrage der AZ hat die Partei unbeantwortet gelassen. 

Provokationen der AfD: Aussitzen reicht nicht mehr

"In der AfD ist die Meinung offenbar auch gespalten, wie man mit den Demonstrationen umgehen soll", sagt Kolb. Von außen ist derzeit viel Betrieb zu beobachten. Einige verlegen sich auf die bewährten Taktiken: Der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner, behauptete ohne Beleg, bei den Demonstrationen sei auf Plakaten zum Mord an AfD-Politikern aufgerufen worden. Bundessprecherin Alice Weidel versuchte, mit einem möglichen EU-Austritt Deutschlands, dem "Dexit", das Thema zu verschieben. Der migrationspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Gottfried Curio, erklärte in einem Video, dass der Begriff "Remigration" falsch verstanden würde.

Oder es wird mit Trotz reagiert: "Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen", schrieb der Bundestagsabgeordnete René Springer auf X und bekam dafür viel Zuspruch aus der Partei.

Gleichzeitig ist der AfD offenbar klar, dass das Aussitzen dieses Mal nicht reichen wird. Bezüglich des Treffens in Potsdam beeilte man sich zu erklären, dass es sich dabei um eine reine Privatveranstaltung gehandelt habe. "Keiner der Betreffenden konnte daher für unsere Partei sprechen." Und von Roland Hartwig, einem Mitarbeiter Weidels, der an dem Treffen in Potsdam teilgenommen hatte, hat sich die Partei inzwischen getrennt.

Von Roland Hartwig, dem Referenten von AfD-Sprecherin Alice Weidel, hat sich die Partei inzwischen getrennt.
Von Roland Hartwig, dem Referenten von AfD-Sprecherin Alice Weidel, hat sich die Partei inzwischen getrennt. © imago

Carsten Hütter, Mitglied im Bundesvorstand und Schatzmeister der Partei, gibt im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" an, dass Mitglieder angesichts der Ereignisse verunsichert seien und nach Aufklärung fragten. Aber im Allgemeinen überwiege die Haltung: "Wir lassen uns nicht mehr davon abhalten, die AfD zu unterstützen und zu wählen." 

Nach Ansicht der Partei haben die Enthüllungen um das Rechtsextremen-Treffen in Potsdam ihr nicht geschadet. 41.000 Mitglieder habe die AfD aktuell, seit Jahresbeginn seien mehr als 1000 neue hinzugekommen, teilte ein Parteisprecher mit. Diese hatten die Anträge aber noch im alten Jahr gestellt, also vor der Veröffentlichung von "Correctiv". Zwischen 10. und 22. Januar seien 1400 neue Aufnahmeanträge eingegangen. Demgegenüber stünden im selben Zeitraum Austritte im "mittleren zweistelligen Bereich".

AfD auch gegen Mindestlohn und für Brexit-Szenario

"Es gibt Wähler, die sich von den Demonstrationen nicht abschrecken lassen", sagt Felix Kolb von Campact. "Ein Teil ist genau mit dieser radikal menschenverachtenden Politik einverstanden." Ein anderer wiederum wäre noch erreichbar. "Es ist die Aufgabe der Zivilgesellschaft, den Menschen weiter klarzumachen, was die Politik der AfD eigentlich bedeutet." Es gehe dabei ja nicht ausschließlich um Migration. "Die AfD ist ja auch gegen einen höheren Mindestlohn. Und spricht sich jetzt auch öffentlich für ein Szenario wie den Brexit in Deutschland aus. Das ist eine Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie", sagt Kolb.

Jedoch: Demonstrierende Bürgerinnen und Bürger könnten die Partei sicherlich nicht alleine in Richtung zehn Prozent drücken. Es brauche auch die Parteien. "Da ist sowohl die Ampel gefragt als auch zum Beispiel die Union als größte Oppositionspartei."

Die Politik müsse zeigen, dass sie die Menschen nicht weiter zurücklässt. "Vieles von dem, was wir politisch erleben, lässt sich auf die Folgen der Finanzkrise zurückführen", sagt Kolb. Banken seien gerettet und einfache Bürger alleingelassen worden. "Das hat zu einer massiven Entfremdung mit der Demokratie geführt und den Aufstieg der AfD begünstigt."

AfD an der Regierung? Keine Hoffnung auf Entzauberung

Es brauche diese Anstrengungen jetzt – die AfD erst einmal an die Regierung zu lassen, sei keine Option. Denn es gebe wenig Hoffnung darauf, dass die Partei mit ihren politischen Plänen scheitere und dann von den Wählern wieder abgestraft werde. "Das ist so ein Wunschdenken", sagt Kolb. Allerdings müsse man nur in die USA oder nach Ungarn schauen, wo radikale Kräfte an die Macht gekommen seien. "In vielen Ländern wurde diese Hoffnung bereits empirisch widerlegt."

Und was, wenn der Effekt der spontanen Politisierung verpufft? Wenn am Ende alle Demonstrationen nichts gebracht haben? Kolb weiß, dass soziale Bewegungen etwas bewirken können, und verweist etwa auf die Demonstrationen gegen die Handelsabkommen TTIP (zwischen der EU und den USA) oder CETA (zwischen EU und Kanada), die die Verhandlungen vor knapp zehn Jahren ins Stocken brachten. Die Beispiele zeigen auch: Veränderungsprozesse brauchen Zeit, weil Meinungen nicht so spontan wechseln. Kolb sagt: "Ein einzelnes Demowochenende reicht da nicht aus."

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