Europawahl als Denkzettel für nationale Regierungen
BRÜSSEL - Die Wahl zum Europaparlament haben EU-Bürger in vielen Ländern genutzt, um ihre nationalen Regierungen abzustrafen. In den Niederlanden, in Österreich, Griechenland, Bulgarien, Irland, Großbritannien und Malta steuerten die Regierungsparteien auf zum Teil herbe Niederlagen zu.
Am Sonntag, dem vierten Tag des Wahlmarathons, waren die Wähler in Deutschland und 18 weiteren Ländern zur Stimmabgabe aufgerufen. Bis zum Nachmittag zeichnete sich eine ähnlich niedrige Wahlbeteiligung wie vor fünf Jahren ab, als mit nur 45,5 Prozent ein Tiefstand erreicht wurde. Dänemarks Bürger stimmten zugleich über eine Verfassungsänderung zur Thronfolge ab, in Luxemburg wurde auch das nationale Parlament gewählt.
In den Niederlanden ist gegen die Immigration gerichtete, EU-feindliche Partei für Freiheit (PVV) zur zweitstärksten Kraft geworden. Sie habe vier der 25 niederländischen Mandate im Europaparlament erhalten, nur einen Sitz weniger als die regierende Christdemokratische Allianz (CDA).
Dramatische Einbußen für SPÖ
In Österreich verlor die SPÖ von Bundeskanzler Werner Faymann nach einer Hochrechnung im Vergleich zu 2004 rund 9,6 Prozentpunkte und landete bei 23,7 Prozent. Auch die konservative Volkspartei musste Verluste hinnehmen, wurde mit 29,6 Prozent aber stärkste Kraft. An dritter Stelle landete die Liste des EU-Rebellen Hans-Peter Martin mit 18 Prozent. Die rechte Freiheitliche Partei konnte ihr Ergebnis von 2004 mit 13,4 Prozent (+7,1) mehr als verdoppeln. Die Rechtspartei BZÖ wird mit 4,7 Prozent voraussichtlich erstmals im EU-Parlament sitzen.
In Griechenland gewannen die oppositionellen Sozialisten nach einer Prognose des Staatsfernsehens (NET) mit etwa 37 Prozent die Wahl, wie auch in Malta. Dort entfielen rund 55 Prozent der Stimmen auf die Sozialisten. Die regierende bürgerliche Nea Dimokratia (ND) landete in Griechenland bei 34 Prozent. Bulgariens bürgerliche Oppositionspartei GERB wurde nach einer Prognose des Gallup-Instituts mit 26,5 Prozent stärkste Fraktion. Die regierenden Sozialisten (Ex- Kommunisten) kamen auf lediglich 19 Prozent.
Brown mit dem Rücken zur Wand
In Irland kam die Partei von Ministerpräsident Cowen auf rund 23 Prozent, berichtete das Wahlforschungsinstitut Lansdowne. Damit ist sie erstmals nicht stärkste Kraft im Land. Die Oppositionspartei Fine Gael erhielt 30 Prozent. Beobachter sehen darin aber keine anti- europäische Stimmung. Irland ist stark von der Finanzkrise betroffen.
In Großbritannien gilt das Votum als Test für die im Spesenskandal ins Wanken geratene Regierung von Brown. In den vergangenen Tagen traten reihenweise Kabinettsmitglieder zurück. Premierminister Brown wehrte sich jedoch bis zum Sonntag erfolgreich gegen Rücktrittsforderungen auch aus seiner eigenen Labour-Partei.
Deutschland stellt 99 von 736 Abgeordneten
Einen Erfolg konnte die slowakische Regierungspartei Smer- Sozialdemokratie von Ministerpräsident Robert Fico verbuchen. Sie erhielt nach inoffiziellen vorläufigen Ergebnissen 30 Prozent der Stimmen – doppelt so viele wie die stärkste Oppositionspartei. In Zypern triumphierten nach ersten Meldungen die Parteien, die sich für eine Wiedervereinigung der geteilten Insel einsetzen.
Das Europaparlament ist eine Schlüsselinstitution der Europäischen Union und hat weitreichende Rechte bei der EU-Gesetzgebung. Der Vertrag von Nizza sieht 99 der 736 Sitze im Europaparlament für Deutschland vor. Das ist die größte nationale Abordnung in Straßburg. (dpa)