Europa-Wahl: Keine Lust auf Kampf

Der Wahlkampf kommt nicht in Schwung, weil kaum jemand noch mehr Europa will. Es drohnt eine blamable Beteiligung, und profitieren könnten nur Radikale und Populisten.
Brüssel - Es gibt Plakate, es gibt ein paar hässliche Vorwürfe, aber es gibt keine Leidenschaft und keine Mobilisierung. Kurz vor der Europa-Wahl ist das Desinteresse groß. Manche befürchten, dass die Walbeteiligung von 2009 noch unterboten wird. Damals waren es gut 43 Prozent. Und diesemal könntren vor allem Radikale und Außenseiter profitieren.
Das erste TV-Duell zwischen den Spitzenkandidaten Martin Schulz und Jean-Claude Juncker in Deutschland fand nur 1,79 Millionen Zuschauer, nicht einmal ein Drittel des ARD-Krimis zur selben Sendezeit. So bleibt sogar ungewiss, ob die blamable Wahlbeteiligung von 2009 nicht noch einmal unterboten wird. Damals gingen nur 43,4 Prozent zur Abstimmung, so wenige wie nie bei einer Europawahl.
Diese Zurückhaltung hat viel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu tun, und zwar gleich mehrfach. In Europa ist sie ebenso unbestritten wie in Deutschland. Der britische „Economist“ schreibt: „Frau Merkel ist jetzt der oberste Chef in Europa.“ In Deutschland sowieso: Vor gerade acht Monaten hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Bundestagswahl einen Riesenerfolg eingefahren. Sie regiert so unangefochten, dass kaum jemand auf die Idee kommt, ihr bei der Europawahl vielleicht einen Denkzettel zu verpassen. Dies ist kein Klima für Veränderungen. Und noch immer ist das Verhältnis zu Europa vielfach gegrägt von Mythen und Vorurteilen.
Die Umfragen für den 25. Mai liegen ziemlich nahe an den Werten der Bundestagswahl vom September 2013 – die Union ein bisschen schwächer als damals, die SPD etwas stärker, die Grünen wohl vor der Linken, die FDP weit unter fünf Prozent und die Alternative für Deutschland (AfD) deutlich darüber. Nur die CSU, die den Eurokritikern Wähler abjagen will, versucht sich mit deftigen Sprüchen zu profilieren. Armutsmigration, Missbrauch der Sozialsysteme, Kindergeld für Saisonarbeiter – das sind ihre Themen. Spitzenkandidat Markus Ferber sagt über den Sozialdemokraten Schulz: „Ein potenzieller Kommissionspräsident, der sich für Eurobonds und Schuldentilgungsfond einsetzt, versündigt sich an den Menschen in Europa.“ In Flüchtlingsfragen agiere Schulz als „Geschäftsführer“ der Schlepperbanden aus Afrika. Das klingt zumindest nach Wahlkampf.
Auch das beherrschende internationale Thema dieser Wochen, der Konflikt um die Ukraine, entfaltet kaum mobilisierende Wirkung. Immerhin macht es einigen Europa-Skeptikern klar, dass Europa mehr sein kann als eine Verwaltungsgemeinschaft Es gibt nur wenige Unterschiede zwischen den Parteien, von den russlandfreundlicheren Linken einmal abgesehen.
Und Europa? Nach Jahren der Krise wollen die meisten Deutschen am liebsten damit in Ruhe gelassen werden. Nicht einmal die Eurogegner der AfD können mit Themen wie Schuldenschnitt und Eurobonds, Rettungsschirm und Griechenland nennenswert punkten.
Und nun kommt wieder Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Spiel. Von Anfang an war sie nicht begeistert von der Idee, mit Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten die Wähler zu motivieren. Deshalb ist vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den CDU-Plakaten zu sehen und nicht der Luxemburger Juncker. Am Ende konnte Merkel das Verfahren zwar nicht verhindern, machte aber immer wieder klar, dass es keinen Automatismus bei der wichtigsten Personalie geben wird. SPD-Mann Schulz warnte schon vor „Mauscheleien“, sein Zweikampf mit Juncker entfaltete jedenfalls nicht die erhoffte Wirkung. Siehe TV-Duell. Das Kernproblem, nicht nur in Deutschland: Nur eine kleine Minderheit ist für mehr europäische Integration, in Deutschland sind es elf, in Frankreich zwölf, in Großbritannien sogar nur drei Prozent, hat eine YouGov-Umfrage für die „Welt“ ermittelt. Eine weitere YouGov- Untersuchung ergibt, dass immerhin 48 Prozent der Deutschen glauben, dass die EU zu viel Geld koste. 40 Prozent sagen, der Wahlkampf langweile sie. Überdruss an Europa ist populär geworden, nicht nur bei Populisten. Von dieser Stimmung profitiert diesmal wohl vor allem das Lager der Nicht-Wähler. Aber das muss nicht so bleiben.