Europa sucht den Super-Chef
BRÜSSEL - Beim Krisengipfel um zwei Spitzenposten werden in einer Nachtsitzung die Kandidaten gecastet: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Nicolas Sarkozy halten zu einem stillen Dichter, der niemanden stört
Der European Chef-Contest ist eröffnet: In Brüssel tagt der EU-Krisengipfel mit dem einzigen Tagesordnungspunkt, gleich zwei neue Chefposten zu besetzen. Ähnlichkeiten mit Song-Wettbewerben sind durchaus vorhanden: Polen fordert sogar ein Einzel-Vorsprechen der Bewerber, die Osteuropäer halten immer zusammen, nur die Vorauswahl läuft bei den Fernsehsendern professioneller.
Ratspräsident Fredrik Reinfeldt (Schweden) hat es nicht geschafft, bis zum Start des Gipfels eine Einigung zu erzielen oder wenigstens das Bewerberfeld einzugrenzen – obwohl er seit Tagen die 27 Regierungschefs abtelefoniert. Die sind erbost, er sagt entnervt: „Das war nicht zu schaffen.“ Zu viel Unvereinbares – auch, weil gleich zwei Chefs gesucht werden. Beide Stellen gab es bisher nicht. Sie werden durch den Lissabon-Vertrag geschaffen und müssen bis 1. Dezember besetzt sein: erstens der EU-Ratspräsident (das wechselt bisher im sechsmonatigen Turnus zwischen den Regierungschefs), quasi der Chef nach innen. Zweitens der „Hohe Beauftragte“, auch Außenminister genannt – der Vertreter der EU nach außen, um den Weltmachts-Anspruch zu festigen.
"Wir haben kein völliges Chaos, aber es sieht nicht gut aus"
Die Doppelspitze will sorgfältig austariert sein: nach rechts/links und großes Land/ kleines Land. Auf die Frage, ob sie ernsthaft glaubt, ob die geplanten drei Gipfel-Stunden reichen, sagte Chef-Organisatorin Cecilia Malmström: „Es gibt ja noch den Freitag, den Samstag und den Sonntag. Wir haben kein völliges Chaos, aber es sieht auch nicht gut aus.“ Ihr Chef Reinfeldt hat angekündigt, notfalls kampfabstimmen zu lassen. Der Zeitplan war bei Redaktionsschluss noch völlig offen, es wurde mindestens mit einer Nachtsitzung gerechnet.
Und so sieht das Bewerberfeld aus: Lange hielt sich Tony Blair für den Top-Favoriten für den Chef-Job – bis klar wurde, dass nicht mal die anderen Sozialdemokraten hinter ihm stehen und lieber den britischen Außenminister David Miliband für den anderen EU-Job wollten. Nur: Zwei englische Linke an der Spitze ging nicht. Doch Premier Gordon Brown hält eisern an Blair fest – aus welchen Motiven auch immer, denn das Tischtuch zwischen den beiden ist zerschnitten. Aber so eisern, dass Miliband hinwarf. Vorläufig zumindest. Mittlerweile gehört nur noch Silvio Berlusconi zu den Fans von Blair.
"Briten gegen Fritten"
Neuer Favorit für den Chef-Job ist nun der konservative belgische Premier Herman van Rompuy. Die englische Presse spricht von einem „Briten gegen Fritten“-Krieg und verspottet „Rumpypumpy“, dass dessen größte Stärke das Erstellen von Haikus (japanischen Kurzgedichten) ist. Kostprobe: „Die Fliege summt, dreht ab und verschwindet im Raum. Tut keinem was zuleide.“ Letzteres wird auch über ihn gesagt – deswegen hat er Bundeskanzlerin Angela Merkel und Nicolas Sarkozy hinter sich: Der freundliche, stille Flame, der vom König gezwungen werden musste, in der Regierungskrise die Macht zu übernehmen, stiehlt den beiden bestimmt nicht die Show .
Doch gerade der Rückhalt durch die zwei Großen könnte bei den anderen 25 Ländern einen Trotz-Reflex auslösen, heißt es. Dann macht sich auch Altmeister Jean-Claude Juncker (Luxemburg) Hoffnungen. „Doch der hat zwei Probleme: Er hat eine eigene Meinung. Und er spricht sie auch aus“, sagt ein EU-Insider. Daneben sind etwa zehn Kompromisskandidaten im Rennen, darunter Jan-Peter Balkenende (Niederlande, Spitzname Harry Potter) und die Lettin Vaira Vike-Freiberga, die sich selbst nominiert hat.
Die Liste der Außenminister-Kandidaten ist etwas kürzer (weil Sozialdemokrat). Als Favorit gilt derzeit der Italiener Massimo D’Alema – den wollen allerdings die Osteuropäer wegen dessen kommunistischer Vergangenheit verhindern. Auch der Name Frank-Walter Steinmeier fiel, doch da stellt sich Merkel quer. Ein Regierungsberater: „Am Ende wird es wahrscheinlich irgendeiner. Hauptsache, die Chose ist vom Tisch.“ tan