EU-Umgang mit Putin: Wende in Versailles?
Mit zunehmender Dauer des russischen Krieges gegen die Ukraine wachsen zwischen den EU-Staaten die Spannungen über den weiteren Kurs der Europäischen Union. Kurz vor Beginn eines Treffens der Staats- und Regierungschefs im Pariser Schloss Versailles wurde hinter den Kulissen darum gerungen, wie mit dem Antrag der Ukraine auf einen EU-Beitritt umgegangen werden soll.
Zudem stand die Frage im Raum, wie schnell ein weiteres Paket mit Russland-Sanktionen beschlossen werden soll und ob dieses auch auf den russischen Energiesektor abzielen könnte.
Eine der großen Fragen: Was tun mit dem russischen Gas?
Länder wie Polen und Litauen hatten sich zuletzt dafür ausgesprochen, den Import von Gas, Öl und Kohle aus Russland zu verbieten, um dem russischen Staat seine Haupteinnahmequelle zu nehmen und die weitere Finanzierung des Krieges gegen die Ukraine zu erschweren. Staaten wie Deutschland und Österreich sind bislang allerdings dagegen, da sie in besonders hohem Maße abhängig von russischen Energielieferungen sind.
Laut Schätzungen der Brüsseler Denkfabrik Bruegel geben EU-Staaten zur Zeit täglich rund 420 Millionen Dollar (380 Millionen Euro) für russisches Gas aus, und knapp 400 Millionen Dollar (362 Millionen Euro) für Öl aus Russland.
Kontroverse Diskussionen gibt es in der EU auch über die Frage, wie mit dem ukrainischen Wunsch nach einer schnellen Aufnahme in die EU umgegangen werden soll. In einem Entwurf für die Abschlusserklärung des Gipfels in Versailles heißt es zwar: "Die Ukraine gehört zur europäischen Familie." Konkrete Zusagen an Kiew mit Blick auf einen schnellen EU-Beitritt wurden laut dem Text jedoch nicht gemacht.

Länder wie Estland und Litauen versuchten nach Angaben von Diplomaten bis zuletzt, daran noch etwas zu ändern. Die estnische Premierministerin Kaja Kallas sagte der "SZ", in ihren Augen gebe es die moralische Pflicht, "diesen Menschen ihren europäischen Traum möglich zu machen". Die Ukrainer kämpften nicht nur für die Ukraine, sondern im wahrsten Sinne des Wortes für Europa.
Kaja Kallas: Ukrainer kämpfen nicht nur für Ukraine, sondern für Europa.
Kallas argumentiert, dass ein solcher Schritt nicht nur den Ukrainern, die gerade ihr Land verteidigen, Hoffnung geben würde. Er wäre auch im Interesse der EU. "Auch wir würden davon profitieren, wenn die Ukraine ein wohlhabendes Land mit unabhängiger Justiz ist."
Länder wie Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Dänemark sind nach Angaben von Diplomaten allerdings dagegen, den Ukrainern einen schnellen EU-Beitritt in Aussicht zu schnellen. Sie argumentieren unter anderem, dass die Ukraine auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein werde, die Bedingungen für einen Beitritt zu erfüllen. Möglich ist es ihrer Ansicht nach aber, die Zusammenarbeit auszubauen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte angesichts des russischen Krieges gegen sein Land vergangene Woche die Mitgliedschaft in der EU beantragt. Der Beitritt zur EU ist allerdings ein langer und komplizierter Prozess. Selbst wenn die EU-Kommission den Beitrittsantrag positiv bewerte sollte, könnte allein der Start der Aufnahmeverhandlungen lange auf sich warten lassen, da alle EU-Staaten einverstanden sein müssen.
Die Ukraine hofft auf Tempo. "Es geht nicht darum, dass wir morgen die Mitgliedschaft bekommen. Wir wollen keinen Freifahrtschein. Aber wir wollen, dass das in einem Eilverfahren geschieht, innerhalb von wenigen Jahren", sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk.
Als weiteres brisantes Thema beim Gipfel im Schloss von Versailles gilt der Umgang mit Auswirkungen des Krieges auf die wirtschaftliche Entwicklung in der EU. So hat Frankreich die Idee ins Spiel gebracht, wie schon in der Corona-Krise ein schuldenfinanziertes Unterstützungsprogramm zu beschließen.
Dieses könnte demnach helfen, die Folgen des aktuellen Energiepreisanstieges abzufedern, aber auch Investitionen in Verteidigungsprojekte fördern. Länder wie Deutschland und die Niederlande halten dies derzeit für nicht notwendig und verweisen darauf, dass erst einmal das Corona-Hilfspaket aufgebraucht werden sollte.