EU-Krisengipfel in Brüssel: Euros nach Athen tragen?

Griechenland droht der Bankrott – doch die EU-Chefs beschließen, nicht mit Geld zu helfen. Zumindest noch nicht. Eine gute Nachricht für den Steuerzahler, eine weniger gute für den Euro
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Bundeskanzlerin Angela Merkel, Griechenlands Ministerpräsident George A. Papandreou und der französische Staatschef Nicolas Sarkozy
dpa Bundeskanzlerin Angela Merkel, Griechenlands Ministerpräsident George A. Papandreou und der französische Staatschef Nicolas Sarkozy

Griechenland droht der Bankrott – doch die EU-Chefs beschließen, nicht mit Geld zu helfen. Zumindest noch nicht. Eine gute Nachricht für den Steuerzahler, eine weniger gute für den Euro

Beistand ohne Bargeld: Auf dem EU-Sondergipfel wegen der Griechenland-Krise wurden gestern überraschend keine Hilfsgelder für das fast bankrotte Land beschlossen – vorerst.

Was wurde beschlossen? Die EU gewährt Griechenland keine finanziellen Hilfen, sondern politische Garantien zum Schutz vor der Pleite. „Wir werden, falls notwendig, entschlossene und abgestimmte Maßnahmen ergreifen“, so EU-Präsident Herman van Rompuy. Griechenland habe neue Pläne vorgelegt, wie es aus eigener Kraft aus der Krise kommen will. „Diese glaubwürdigen und ambitionierten Maßnahmen unterstützen wir voll.“

Warum wurde das beschlossen? Eigentlich waren finanzielle Hilfen erwartet worden, so hatten es die EU-Finanzminister zuvor vereinbart. Warum das ausblieb, dazu gab es unterschiedliche Lesarten: Die EU-Chefs hätten die Hilfe verweigert, lautet die eine. „Alle Staaten leiden unter Haushaltsproblemen, es ist nicht leicht zu vermitteln, warum man Griechenland helfen sollte“, so ein Diplomat. Die andere, die auch Rompuy vertrat: Athen selbst habe Nein gesagt. Hintergrund: Dann würde die EU Griechenland recht straff hineinregieren wollen und können. Der griechische Regierungschef Georgios Papandreou: „Wir werden alles Notwendige selbst tun.“

Warum braucht Griechenland Hilfe? Das Land steht kurz vor dem Staatsbankrott – in einer Mischung aus hausgemachten Problemen, jahrelangen Tricksereien, einem gigantischen Schuldenberg und nun auch Spekulanten, die immer aggressiver auf einen Kollaps des Landes spekulieren. Ein Teufelskreis: Das Vertrauen in Griechenland ist seit langem dahin. Rating-Agenturen stufen die Kreditwürdigkeit hinunter, Griechenland muss immer höhere Zinsen bieten, das macht die Schulden immer teurer. Wenn der Punkt kommt, an dem Athen nicht mehr zahlen und keine neue Anleihen mehr ausgeben kann, ist das Land pleite. Das könnte bereits im April der Fall sein: Dann müssen Anleihen in Höhe von 20 Milliarden Euro bedient werden.

Was sind die Optionen der EU? Griechenland pleitegehen zu lassen, zieht niemand ernsthaft in Erwägung: „Das würde weltweit größere Verwerfungen auslösen als der Fall von Lehman Brothers“, so Kredit-Analyst Jochen Felsenheimer. „Dann müssen wir in zwei Monaten das ganze europäische Bankensystem retten.“ Außerdem infiziert die griechische Schwäche jetzt schon den Euro – ein Zusammenbruch würde der Gemeinschaftswährung massiv schaden, mit fatalen Folgen für alle. Auch so ist das Signal von gestern zu verstehen: Noch gibt es kein Geld. Aber es wird vorsorglich ein Rettungsnetz gespannt: Im äußersten Notfall greifen wir ein. Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Wir lassen Griechenland nicht alleine.“ Sie mahnte aber auch Athen zu weiteren Anstrengungen: „Es gibt Regeln, die sind einzuhalten!“

Wie reagieren die Märkte? Nervös. Nach den ursprünglichen Signalen, dass es Geld gibt, hatte sich der Euro – der so schlecht steht wie seit acht Monaten nicht mehr – immerhin der 1,38-Dollar-Marke angenähert. Nach dem Gipfel drehte er wieder ins Minus, ebenso der Dax.

Wie gefährdet ist der Euro? Er steht nicht vor dem Aus, aber Griechenland ist nicht das einzige Sorgenkind – vier andere Länder haben ähnliche Probleme. Im Finanzmarkt wurde die Krisenrunde bereits die PIGS-Staaten getauft: Portugal, Italien, Irland, Griechland, Spanien (s. nächster Absatz). „Pigs“ heißt Schweine auf englisch. Anja Timmermann

Griechenland

Griechenland ist nicht von ungefähr der Auslöser der Eurokrise. Das Land hat mit 12,7 Prozent das höchste Haushaltsdefizit. Und es schiebt einen Schuldenberg vor sich her, der weit über das hinausgeht, was das Land in einem Jahr erwirtschaftet. Nun will man Beamtengehälter einfrieren, Einstellungen stoppen, Steuern erhöhen. Dennoch ist es utopisch, dass das Defizit so bis 2012 unter 3 Prozent sinkt. Nötig wäre ein radikaler Umbau – etwa im teuren Rentensystem. Griechischen Arbeitnehmern stehen im Ruhestand 96 Prozent ihres Nettogehalts zu.

Spanien

Auch wenn das Land besser dasteht als die Griechen: Viele Experten halten Spanien für den größeren Risikofaktor. Der Grund: Spanien ist viermal so groß wie Griechenland. Geriete es in Turbulenzen, wären die Nachbeben enorm. Spaniens Hauptproblem: In der Krise ist der Immobilienmarkt zusammengebrochen – und damit auch das Wachstum. Während andere Länder sich erholen, wird Spaniens Wirtschaft auch 2010 nochmal schrumpfen. Das treibt das ohnehin schon hohe Defizit von 11,2 Prozent weiter nach oben. Und die Arbeitslosigkeit: Sie dürfte heuer 20 Prozent übersteigen

Portugal

Eigentlich ist der portugiesische Schuldenberg noch gar nicht so hoch. Europaweit liegt er im Mittelfeld. Dennoch zählt das Land zu den großen Wackelkandidaten. Ein Grund: Portugal verliert seit Jahren an Wettbewerbsfähigkeit – hat es also immer schwerer, mit Wachstum aus der Schuldenfalle rauszukommen. Erschwerend kommt hinzu: Die Regierung von Premier José Socrates ist in der Minderheit. Die Opposition kann also Gesetze gegen sie durchdrücken. Oder Vorhaben torpedieren – wie zuletzt das Sparprogramm der Regierung. Das macht die Kapitalmärkte äußerst nervös.

Italien

Dass Italien stets in einem Atemzug mit den anderen Krisenstaaten genannt wird, liegt vor allem an der hohen Staatsverschuldung. Ähnlich wie in Griechenland liegt sie bei über 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Das war aber auch schon vor der Krise so. Und: Das italienische Haushaltsdefizit ist mit knapp vier Prozent moderat. Was Experten skeptischmacht, ist Italiens Sorglosigkeit. Zwar hat die Regierung 2008 ein Sparprogramm aufgelegt. Seitdem aber unternimmt sie nichts weiter, um den Schuldenberg abzutragen. Das könnte sich irgendwann rächen

Irland

Auf den ersten Blick passt Irland nahtlos zu den Problemländern: Das Land steckt tief in der Rezession. Um 7,5 Prozent schrumpfte die Wirtschaft 2009. Das Haushaltsdefizit ist mit 12,5 Prozent fast so hoch wie in Griechenland. Und doch findet Europas Notenbankchef Jean-Claude Trichet Irland „beeindruckend“. Denn die Iren haben die Reformen schon hinter sich, die anderen Ländern noch bevorstehen. Die Regierung hat Löhne und Gehälter der Staatsdiener gekürzt, die Banken stabilisiert. Das Land ist auf dem Weg der Besserung – die anderen müssen da erst noch hinkommen

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