EU-Kandidatin Lochbihler: „Die Stammtisch-CSU stört mich“
Zehn Jahre lang war sie Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International: Jetzt wechselt Barbara Lochbihler in die Politik - sie hat allerbeste Chancen, auf dem Ticket der Grünen ins Europäische Parlament nach Brüssel einzuziehen. Im AZ-Interview spricht sie über Menschenrechtsbildung als Schulfach - und über den EU-Beitritt der Türkei.
AZ: Frau Lochbihler, mit Platz fünf auf der Liste haben Sie Ihr Mandat fürs Europäische Parlament sicher. Die Konkurrenz scheint Sie jedoch gar nicht zu kennen: CSU-General Dobrindt sagte unlängst, Bayerns Grüne hätten keinen aussichtsreichen Listenplatz.
BARBARA LOCHBIHLER: Das liegt wohl daran, dass sich Herr Dobrindt zu wenig um die Europapolitik kümmert. Er denkt wohl, es reiche aus, wenn man im Bundestag gegen den Lissabon-Vertrag stimmt. Der CSU-Spitzenkandidat dagegen kennt mich gut, mit dem gerate ich auf Podien gerne mal aneinander.
Was stört Sie an Markus Ferber?
Er zieht den Stammtisch-Stil einer sachorientierten Diskussion vor. Herr Ferber denkt zum Beispiel, die Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen, denen man nichts nachweisen kann, wäre eine Gefährdung. Von jemand, der sowas sagt, würde ich mir wünschen, dass er sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt.
Irgendwie verläuft der Wahlkampf seltsam ruhig. EuropaDebatten finden kaum statt.
Zum einen muss man die Medien bitten, noch politischer über Europa zu berichten, anstatt immer nur Auswüchse der Bürokratie zu kritisieren. Auch viele Politiker neigen dazu, die EU in ihren Heimatländern zum Sündenbock zu stempeln, wenn sie dem Bürger bestimmte Politikbereiche nicht gut verkaufen können.
Sie machen Wahlkampf in ganz Deutschland. Aber was wollen Sie für Bayern tun?
Mein Bezugsfeld bei Amnesty International waren ja bis jetzt vor allem Diplomaten und Beamte. Deshalb finde ich es sehr spannend, von den Bürgern direkt zu hören, was die vor Ort für Themen haben. Zentrales Thema für Bayern ist die Förderung des ländlichen Raums, aber natürlich auch die Verbraucherschutzpolitik, etwa gesunde Lebensmittel ohne Gentechnik zu nicht überzogenen Preisen.
Ihr Steckenpferd, die Außen- und Menschenrechtspolitik, ist aber nicht gerade sehr bajuwarisch angehaucht...
Der Umgang mit Asylbewerbern und Flüchtlingen gerade in Bayern ist ein Kernbereich der Menschenrechtspolitik. Außerdem will ich die Menschenrechtsbildung stärker in den Lehrplänen verankern.
Aha. Und wie soll das gehen?
Da muss man mit dem Bildungsministerium reden: Entweder Menschenrechtsbildung zum Querschnittsthema in allen Fächern machen. Oder als eigenes Fach anbieten.
A propos Menschenrechte: Gehört die Türkei in die EU?
Ich finde es richtig, dass wir Grünen grundsätzlich für die Aufnahme der Türkei in die EU sind. Das gesetzliche Verbot der Todesstrafe etwa wäre nicht so schnell erreicht worden, hätte es nicht den klaren Willen der türkischen Führung gegeben, in die EU zu kommen. Trotzdem gibt’s große Defizite, sind Folter und Misshandlung noch weit verbreitet. Wir müssen von der türkischen Regierung einfordern, dass sie ihre Gesetze umsetzt – auch in den Provinzen.
Sie sind Quereinsteigerin, erst seit 2008 Grüne. Fremdeln Sie noch in der Partei?
Bei Amnesty hatte ich viel mehr Zeit zu reden, jetzt muss ich präzisieren. Die Grünen haben mich sehr freundlich aufgenommen – noch habe ich keine Schrammen aus innerparteilichen Konflikten.
Interview: Markus Jox