EU-Gipfel berät über Wiederaufbau nach Corona

Brüssel - Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder haben erneut gemeinsame Beratungen in der Corona-Krise aufgenommen.
Bei einem Videogipfel beraten Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen vor allem über den Plan zur wirtschaftlichen Erholung nach der akuten Krise. Eine Lösung wird allerdings noch nicht erwartet.
Für die Erholung der Wirtschaft nach der Corona-Krise werden nach Einschätzung von EU-Ratschef Charles Michel "beispiellose Investitionen" im Rahmen eines europäischen Marshall-Plans nötig. Die Instrumente dafür seien der EU-Haushalt und die Europäische Investitionsbank, schrieb Michel vor dem Gipfel auf Twitter. Die Investitionen sollten in den grünen und digitalen Wandel der Wirtschaft fließen.
Fachleute erwarten wegen der Pandemie eine schwere Rezession in Europa. Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs soll ein bereits vereinbartes Paket mit Kredithilfen von bis zu 540 Milliarden Euro für Kurzarbeiter, Unternehmen und verschuldete Staaten freigeben. Darüber hinaus geht es um einen Wiederaufbaufonds, dessen Umfang und Details aber offen sind.
Michel schrieb, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bekommen und zu modernisieren müsse vor allem der Europäische Binnenmarkt zu neuem Leben erweckt werden. Er bekräftigte die Forderung nach "strategischer Autonomie", also der Produktion wichtiger Güter wie Arzneien oder Schutzkleidung in Europa. Zugleich betonte der Ratspräsident, die EU müsse auch international eine größere Rolle bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie spielen, Hilfe leisten und internationale Handelswege wiederbeleben.
Vor dem EU-Gipfel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den besonders stark von der Corona-Krise getroffenen europäischen Partnerländern Solidarität zugesichert und vor Spaltungstendenzen gewarnt. "Für uns in Deutschland ist das Bekenntnis zum Vereinten Europa Teil unserer Staatsräson. Das ist kein Stoff für Sonntagsreden, sondern das ist ganz praktisch", sagte sie am Donnerstag in ihrer Regierungserklärung im Bundestag. "Diese Pandemie trifft alle, aber nicht alle gleich. Wenn wir nicht aufpassen, dient sie all denen als Vorwand, die die Spaltung der Gesellschaft betreiben."
Europa sei eine Schicksalsgemeinschaft. "Dies muss Europa jetzt in der ungeahnten Herausforderung der Pandemie beweisen", sagte Merkel. "Europa ist nicht Europa wenn es nicht füreinander einsteht in Zeiten unverschuldeter Not."
Konkret erklärte sich Merkel bereit, zur Bewältigung der Corona-Krise vorübergehend deutlich mehr Geld in die EU-Kasse einzuzahlen. Sie sprach sich für ein europäisches Konjunkturprogramm für die nächsten zwei Jahre aus, um der europäischen Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Beim Videogipfel am Nachmittag werde es zwar noch nicht um die Details oder den Umfang gehen, sagte Merkel. "Doch eines ist schon klar: Wir sollten bereit sein, im Geiste der Solidarität über einen begrenzten Zeitraum hinweg ganz andere, das heißt deutlich höhere Beiträge zum europäischen Haushalt zu leisten. Denn wir wollen, dass alle Mitgliedstaaten in der Europäischen Union sich wirtschaftlich wieder erholen können."
Die Aufnahme von Gemeinschaftsschulden mit gemeinsamer Haftung lehnte Merkel erneut ab und argumentierte mit dem Zeitfaktor. Für einen solchen Schritt müssten alle Parlamente der Mitgliedstaaten entscheiden, dass ein Teil der Budgethoheit an die EU übertragen werde. "Das wäre ein zeitraubender und schwieriger Prozess und keiner, der in der aktuellen Lage direkt helfen könnte", sagte die CDU-Politikerin. "Es geht jetzt darum, schnell zu helfen und schnell Instrumente in der Hand zu haben, die die Folgen der Krise lindern können."
Die EU-Staaten streiten seit Wochen erbittert über sogenannte Corona-Bonds oder andere Anleihe-Formen. Länder wie Frankreich, Italien und Spanien - die zugleich besonders hart von der Pandemie getroffen wurden - fordern gemeinsame Schulden für den Wiederaufbau. Deutschland, die Niederlande und andere Staaten lehnen eine gemeinsame Haftung jedoch vehement ab.
Merkel rief die EU auch dazu auf, die Krise dafür zu nutzen, sich mit grundsätzlichen Fragen zu beschäftigen: Wo kann man noch enger zusammenarbeiten? Wo braucht die EU zusätzliche Kompetenzen? Welche strategischen Fähigkeiten sind nötig? Die Kanzlerin sagte, sie sehe Möglichkeiten für eine Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit nicht nur in den Bereichen Finanzen, Digitales und Binnenmarkt, sondern auch bei Migration, Rechtsstaatlichkeit, Klimaschutz und in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.