ESM: Der Tag der Entscheidung

Grünes Licht für die nächste Etappe der Euro-Rettung: Die Richter in Karlsruhe erlauben Deutschland die Unterschrift unter den ESM- Vertrag. Ein „Ja, aber“-Urteil mit Auflagen.  
A.Zoch |
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Grünes Licht für die nächste Etappe der Euro-Rettung: Die Richter in Karlsruhe erlauben Deutschland die Unterschrift unter den ESM- Vertrag. Ein „Ja, aber“-Urteil mit Auflagen.

Karlsruhe - Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil“ – auf diesen Satz hat gestern ganz Europa hingefiebert. Der Bundestag hatte seine Generaldebatte verschoben. Im Reichstag, Kanzleramt, Banken und Wirtschaftsunternehmen, an der Börse in Frankfurt, in Büros der EU in Brüssel – überall versammelten sich Menschen vor den Fernsehern. Das oberste deutsche Gericht sollte über den permanenten Euro-Rettungsschirm ESM urteilen.

Deutschland hat den Vertrag als letztes Land in Europa noch nicht ratifiziert. Doch ohne den ESM, so die einhellige Meinung, lässt sich die Euro-Schuldenkrise nicht bewältigen. Die Zeit läuft davon. Um kurz nach 10 Uhr war es so weit: Andreas Voßkuhle, der Präsident des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, verkündete das Urteil: Die Eilanträge der Kläger Peter Gauweiler, Herta Däubler- Gmelin (für den Verein „Mehr Demokratie“) und der Linkspartei werden abgewiesen. Es gibt grünes Licht für den ESM.

Es ist ein typisches „Ja, aber“-Urteil: Denn gleichzeitig werden der Bundesregierung Bedingungen diktiert. Auch gegen den Fiskalpakt – die Selbstverpflichtung zum Sparen – hatten die Beschwerdeführer geklagt. Auch das hat das BVG abgewiesen: Der Fiskalpakt deckt sich mit der jetzt schon bestehenden Schuldenbremse im Grundgesetz. Das Urteil im Einzelnen.

Was hat Karlsruhe geurteilt?

Deutschland darf dem ESM beitreten. Er hat ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro und soll kriselnden Euro-Länder unter die Arme greifen. Deutschland haftet mit 190 Milliarden Euro – aber darf nur mitmachen, wenn es vorher wichtige Auflagen erfüllt.

Wie sehen diese Auflagen aus?

Deutschland muss sicherstellen, dass die Haftungsobergrenze tatsächlich bei 190 Milliarden Euro liegt. Ohne Zustimmung Deutschlands darf der ESM diese Obergrenze nicht erhöhen. Außerdem müssen Bundestag und Bundesrat über die ESM-Arbeit informiert werden – obwohl ursprünglich Schweigepflicht vorgesehen war.

Wie werden die Auflagen umgesetzt?

Der ESM-Vertrag selbst muss nicht geändert werden, das hat Martin Kotthaus, der Sprecher von BundesfinanzministerWolfgang Schäuble, gestern bereits klargestellt. Welcher Weg gewählt wird, werde derzeit noch geprüft. Der Staatsrechtler Michael Brenner hält es für wahrscheinlich, dass Deutschland einen so genannten völkerrechtlichen Vorbehalt anmeldet: Das ist eine einseitige Erklärung eines Staates, dass man sich an einen völkerrechtlichen Vetrag nur unter bestimmten Bedingungen hält. In diesem Fall könnte Deutschland erklären, dass es sich an den ESM-Vertrag nur hält, wenn die Haftungsobergrenze gilt und der Bundestag informiert wird.

Wann tritt das Gesetz in Kraft?

Jetzt müssen die Juristen der Bundesregierung einen entsprechenden Vorbehalt formulieren. Noch ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich der Bundestag nochmal mit dem Thema befassen muss. Bundespräsident Joachim Gauck hat mitgeteilt, dass er das Gesetz so bald wie möglich unterschreiben will. Sobald das passiert ist und im Bundesgesetzblatt abgedruckt ist, gilt es.

Wie begründen die Richter ihr Urteil?

Die Kläger hatten argumentiert, dass der Bundestag in Zukunft praktisch sein Haushaltsrecht verliere, weil so enorme Unsummen für den ESM geparkt werden müssen, dass die Abgeordneten über das Geld gar nicht mehr verfügen können. Das haben die Richter als „weitegehend unbegründet“ zurückgewiesen: Die Höhe der von Deutschland übernommenen Gewährleistungen bewirke nicht, dass die Belastungsgrenze des Haushalts überschritten ist.

War’s das jetzt?

Nein: Diese Entscheidungen waren nur so genannte Eilverfahren. Im Hauptsacheverfahren wird der Staatsanleihenkauf durch die EZB unter die Lupe genommen. Aber das dauert noch.

Wie geht’s weiter mit Europa?

Richter Voßkuhle hat das Dilemma zwischen Europa und den Nationalstaaten angesprochen: „Nur als demokratisch legitimierte Rechtsgemeinschaft hat Europa eine Zukunft.“ Sprich: Die Institutionen der EU müssen stärker demokratisch legitimiert werden. Die Mitglieder des EUParlaments haben nach dem Urteil gestern in Straßburg spontan applaudiert. EU-Kommissionspräsident Barroso prescht vor: Er fordert eine neue EU-Verfassung.

 

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