Erst mal nur ein Strafzettel für Ex-Siemens-Boss Pierer

Der Topmanager von einst wird zur Empörung vieler verschont: Der ehemalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer muss zunächst keinen Strafprozess fürchten. Aus dem Schneider ist er aber noch lange nicht
von  Abendzeitung
Neue Vorwürfe gegen den Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer.
Neue Vorwürfe gegen den Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer. © dpa

Der Topmanager von einst wird zur Empörung vieler verschont: Der ehemalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer muss zunächst keinen Strafprozess fürchten. Aus dem Schneider ist er aber noch lange nicht

Heinrich von Pierer muss keine Angst davor haben, ins Gefängnis zu wandern. So könnte man die Erklärung der Münchner Staatsanwaltschaft vom Freitag übersetzen. Die Behörde erklärt, dass sie „keine zureichenden Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten“ des ehemaligen Siemens-Chefs gefunden habe. Von Pierer wird deshalb nicht zum Beschuldigten.

Und das, obwohl der Druck auf ihn in den letzten Wochen immer größer wurde: Zwei frühere Siemens-Manager hatten von Pierer schwer belastet: Er soll sie zur Bestechung von Regierungs- Beamten aufgefordert haben, damit Siemens einen Auftrag in Argentinien an Land zieht. Darüber hinaus ist ungeklärt: Wie konnte er von der jahrelangen Korruptions- Tradition beim Elektro-Konzern nichts gewusst haben?

"Verletzung der Aufsichtspflicht“

Von Pierer bestreitet jede Verwicklung in die Affäre. Lediglich ein Ordnungswidrigkeitsverfahren hat die Staatsanwaltschaft gegen von Pierer und weitere ehemalige Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat eingeleitet, wegen „Verletzung der Aufsichtspflicht“. Damit entgeht er einem Strafprozess, der einen Verurteilten ins Gefängnis bringen kann. In seinem Verfahren geht es nur um eine Geldstrafe.

Kaum war die Nachricht publik, gab es Ärger. Der Vorwurf: Von Pierer profitiert von einer Zwei-Klassen-Justiz, sagen Menschen aus dem Arbeitnehmer- Lager, aber auch die Anwälte von Siemens-Managern, die vor Gericht stehen werden und denen Gefängnisstrafen drohen. Von „Beißhemmung“ ist die Rede und von einer „Lachnummer Hoch Drei“. Das Ordnungswidrigkeits-Verfahren komme einem Strafzettel gleich: „Das ist fast so wie Falschparken“, schimpft der Anwalt eines beschuldigten Siemens- Managers. Warum der Ex-Siemens-Chef verschont wird, glaubt er zu wissen: Von Pierer habe mit den Staatsanwälten einen Deal gemacht: zur Aufklärung beitragen, dafür kein Strafprozess.

Außerdem verweisen Pierer- Gegner auf dessen Berater-Tätigkeit für mehrere deutsche Bundeskanzler und darauf, dass er nach Bekanntwerden des Korruptions-Skandals Kontakt zum damaligen Ministerpräsidenten Stoiber, dem damaligen Innenminister Beckstein, Ex-Wirtschaftsminister Huber sowie zu Justizministerin Merk gesucht hatte. „Für die Rechts- Hygiene in Deutschland wäre es gut gewesen, wenn die Staatsanwaltschaft ermittelt hätte“, sagt einer. Der Top-Manager hätte behandelt werden sollen wie jeder Deutsche. Ihre Namen wollen die Empörten nicht in der Zeitung lesen.

"Überhaupt nicht aus dem Schneider"

Hat die Staatsanwaltschaft vor dem mächtigen Manager gekuscht – oder fehlen ihr bislang schlicht die Beweise? Caspar von Hauenschild, Vorstand von Transparency International, vertritt die zweite These. Klar, von Pierers Verfahren sei „lächerlich, was das Strafmaß angeht“. Jedoch: „Für mich ist er überhaupt nicht aus dem Schneider“, sagt er. Der Grund: Gegen vier Ex-Siemens-Vorstände laufen Ermittlungenwegen schwarzer Kassen und Bestechung. „Sollten die Ermittler etwas Belastendes über von Pierer herausfinden, werden sie Ermittlungen aufnehmen“, meint Caspar von Hauenschild. Im Prinzip gibt es zwei Institutionen, die von Pierer gefährlich werden können: Zum einen sind das die Staatsanwälte. Zum anderen ist es die Firma, bei der er 38 Jahre arbeitete.

Im Gegensatz zu Staatsanwälten liegen die Hürden bei den Aufsehern des Elektro-Konzerns niedriger. Laut Aktienrecht macht sich schon jemand strafbar, wenn er Korruption nicht verhindert hat. Siemens- Chef Peter Löscher lässt seit Monaten den Konzern von der US-Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton durchleuchten. In der letzten Aufsichtsratssitzung zeigten die internen Detektive die Früchte ihrer Arbeit: Nach AZ-Informationen legten sie mehrere Dokumente vor, die darauf schließen lassen, dass der gesamte frühere Vorstand und damit auch Ex-Vorstandschef von Pierer von den Schmiergeldzahlungen gewusst haben.

„Selten hat man einen Augenzeugen, der einen Mörder beobachtet“, sagt ein Insider. „Aber die Indizienkette wird immer länger.“ Siemens-Chef Löscher will Schadenersatz von Verantwortlichen, die sich in der Affäre schuldig gemacht haben. Auch vom Ex-Chef. Bereits bei der Aufsichtsratssitzung im Juli könnte eine Klage beschlossen werden, erfuhr die AZ. Der Grund für die harte Gangart: Siemens verhandelt in diesenWochen mit der US-Börsenaufsicht SEC über die Konsequenzen aus der Affäre. Dem Elektrokonzern drohen nicht nur Milliarden-Strafen, sondern auch noch der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. Löschers Strategie: Gibt er den harten Aufklärer, werden die Börsenaufseher milde gestimmt. Aus dem Unternehmen heißt es: „Die Amerikaner werden nicht eher Ruhe geben, bis der Kopf von Heinrich von Pierer gerollt ist.“

Image als "ethischer Manager" dahin

Gerade für eine Schadenersatz- Klage ist das Ordnungswidrigkeitsverfahren der Münchner Staatsanwälte dann eben doch nicht nur ein Strafzettel. „Das ist ein echter Schlag ins Gesicht“, sagt Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Das heißt, dass er sein Unternehmen nicht im Griff hatte.“ Und gerade das ist für Aktionäre die größte Zumutung – und für die Aufsichtsräte noch eine zusätzliche Aufforderung, die Verstöße mit harten Geldstrafen zu ahnden. Und was sagt Heinrich von Pierer zu der Erklärung der Staatsanwälte? Sein Anwalt erklärte: „Herr von Pierer nimmt diese Entscheidung zur Kenntnis und ist weiterhin zur vollen Kooperation mit der Staatsanwaltschaft bereit.“

Sein Image als ethischer Manager ist dahin. In Strafprozessen gegen andere Siemens-Manager ist er als Zeuge geladen. „Da bin ich gespannt“, sagt der Anwalt eines Beschuldigten – und lacht.

Volker ter Haseborg

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