Erst gedemütigt, dann doch noch gewählt

Tollhaus Thüringen: Nur mit Hängen und Würgen kürt der Landtag die 51-jährige Pastorin Christine Lieberknecht zur Ministerpräsidentin. SPD und CDU schieben sich gegenseitig die Schuld zu
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Sichtlich angespannt wartet Christine Lieberknecht auf das Ergebnis des dritten Wahlgangs - neben ihr der geschasste Vorgänger Dieter Althaus.
AP Sichtlich angespannt wartet Christine Lieberknecht auf das Ergebnis des dritten Wahlgangs - neben ihr der geschasste Vorgänger Dieter Althaus.

ERFURT - Tollhaus Thüringen: Nur mit Hängen und Würgen kürt der Landtag die 51-jährige Pastorin Christine Lieberknecht zur Ministerpräsidentin. SPD und CDU schieben sich gegenseitig die Schuld zu

Dramatischer Fehlstart in Thüringen: Bei ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin der großen Koalition ist die CDU-Politikerin Christine Lieberknecht am Freitag im Erfurter Landtag zweimal hintereinander krachend durchgefallen – jeweils vier Abgeordnete aus CDU und SPD versagten ihr die Stimme. Erst im dritten Wahlgang, bei dem die einfache Mehrheit reichte, wurde die 51-jährige Pastorin zur Nachfolgerin von Dieter Althaus gewählt.

Es ist 9.23 Uhr am Freitag im Landtag, als die Gesichtszüge von Lieberknecht und SPD-Fraktionschef Christoph Matschie einfrieren: 44 Ja- und 39 Nein-Stimmen hat die CDU-Kandidatin im ersten Wahlgang erhalten, es gab drei Enthaltungen und eine ungültige Stimme. Da die Verfassung für die ersten beiden Wahlgänge die Mehrheit aller 88 Abgeordneten vorschreibt, fehlt Lieberknecht eine Stimme. Beim zweiten Anlauf wiederholt sich das Drama, wieder erhält die CDU-Frau nur 44 Stimmen.

"Da stolpert zusammen, was nicht zusammen gehört"

Erst als vor dem dritten Wahlgang auch Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow seinen Hut in den Ring wirft, lösen sich die Fronten auf: 55 Abgeordnete stimmen jetzt für Lieberknecht, darunter wohl alle sieben FDP-Abgeordneten und ein paar Grüne. Ramelow erhält 27 Stimmen, eine mehr, als Linke anwesend sind. „Da stolpert zusammen, was nicht zusammengehört“, giftet er nach der Wahl.

Nach der Vereidigung Lieberknechts geht die Suche nach den Abtrünnigen im Tollhaus Thüringen los. CDU-Fraktionschef Mike Mohring versichert, seine Truppe habe „gestanden“. „Die SPD hat gestanden“, tönt auch Matschie. Viele Genossen hatten sein brachial durchgedrücktes Votum für eine große Koalition nicht verwunden und bis zuletzt für Rot-Rot-Grün gekämpft.

SPD-Vize Heike Taubert vermutet, wahrscheinlich seien „alte Rechnungen“ in der CDU der Grund für die holprige Wahl – Althaus-Spezl könnten Rache genommen haben. „Die Ära Althaus ist zu Ende“, hatte Lieberknecht den eigenbrötlerischen Ex-Regenten wissen lassen. Sorgen machen sich beide Lager, ob eine Regierung bei einer offenbar so wackligen Mehrheit vier Jahre hält.

"Ich glaube wirklich, Männer hassen uns"

Dennoch: Mit Lieberknecht, die mit einem Pfarrer verheiratet ist und schon Enkel hat, dürfte ein neuer Politikstil in die Staatskanzlei einziehen. „Das war die einmalige geheime Wahl. Und jetzt agieren wir offen, transparent“, sagt die Theologin, der auch Gegner einen ausgleichenden und fairen Stil bescheinigen.

Nach Heide Simonis ist die Weimarerin erst die zweite Frau an der Spitze eines Bundeslandes. Dass sie auch unbequem sein kann, hat Lieberknecht nicht erst jetzt unter Beweis gestellt. Als Schülerin flog sie aus dem Internat, und im Wendejahr 1989 forderte sie eine Reform der Ost-CDU. Ihr Motto: „Auch in der Bibel gibt es mal ein Schwert und einen Wutausbruch.“

Heide Simonis selbst sagte gestern zur Lieberknecht-Wahl: „Ich glaube wirklich, Männer hassen uns.“jox

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