Erdogan kündigt hartes Vorgehen gegen Putschisten an
Ankara - Auch ein Jahr nach dem Putschversuch in der Türkei bleibe Europas Hand ausgestreckt, schreibt der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in einem Gastbeitrag für eine Sonntagszeitung. "Ich erwarte nun, dass auch die Türkei klar europäische Farbe bekennt und europäische Grundwerte nachdrücklich beherzigt."
Es werde "kein Verräter ungestraft" bleiben
Die entsprechende Ausgabe war kaum ausgeliefert, da hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bereits jegliche Illusion zerstört: Bei den Gedenkfeiern zum Jahrestag des Umsturzversuches kündigte er ein gnadenloses Vorgehen gegen die Putschisten an und plädierte erneut für die Wiedereinführung der Todesstrafe. "Sowohl die elenden Putschisten als auch jene, die sie auf uns gehetzt haben, werden von nun an keine Ruhe mehr finden", sagte Erdogan bei einer Ansprache am Sonntag vor dem Parlament in Ankara.
Kurz zuvor hatte er bei einer Rede in Istanbul behauptet, er wisse, wer hinter Terrororganisationen wie der Gülen-Bewegung, der PKK und dem "Islamischen Staat" stehe. "Diesen Verrätern werden wir zuerst die Köpfe abreißen." Es werde "kein Verräter ungestraft" bleiben. Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Gülen weist das zurück. Wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung sitzen mehr als 50 000 Menschen in Untersuchungshaft. Rund 150 000 Staatsbedienstete wurden im vergangenen Jahr entlassen oder suspendiert.
Wiedereinführung der Todesstrafe: Erdogan kümmert Meinung der EU-Staaten nicht
Erdogan kündigte außerdem an, dass er einem Gesetz zur Wiedereinführung der Todesstrafe sofort zustimmen würde. "Wenn es ins Parlament kommt, und wenn es vom Parlament verabschiedet wird und zu mir kommt, werde ich das ohne Zögern bewilligen", sagte er. "Und ich persönlich achte nicht darauf, was Hans und George dazu sagen. Ich achte darauf, was Ahmet, Mehmet, Hasan, Hüseyin, Ayse, Fatma und Hatice sagen." Mit "Hans und George" spielt er auf EU-Staaten wie Deutschland und Großbritannien an.
In den Streit um das Besuchsverbot für deutsche Parlamentarier bei den Bundeswehrsoldaten auf dem Nato-Stützpunkt im türkischen Konya hat sich währenddessen Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg eingeschaltet. "Wir hoffen, dass Deutschland und die Türkei in der Lage sein werden, ein für beide Seiten akzeptables Datum für einen Besuch zu finden", so sein Sprecher.
Hinrichtungen in der Türkei - Was in der Verfassung steht: Die Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei wurde 2004 in Artikel 38 der Verfassung verankert – vor Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen im Jahr darauf. Für die Wiedereinführung wäre also eine Verfassungsänderung notwendig. Dafür würde eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament benötigt (367 der 550 Sitze). Mit einer 60-Prozent-Mehrheit (330 Sitze) wäre ein Referendum möglich, das dann nur eine einfache Mehrheit im Volk bräuchte. In jedem Fall wäre die AKP (317 Sitze) von Recep Tayyip Erdogan auf Unterstützung angewiesen.
Die ultranationalistische MHP (36 Sitze) ist ebenfalls für die Todesstrafe. Gemeinsam hätten AKP und MHP genug Stimmen, um eine Volksabstimmung zu starten. Aber: Um die Putschisten von 2016 hinzurichten, wäre die Wiedereinführung der Todesstrafe nicht ausreichend. In Artikel 38 ist auch verankert, dass niemand eine schwerere Strafe bekommen darf, als die zum Tat-Zeitpunkt angedrohte.
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