Erdogan: Der Brückensprenger

Der Vize-Chefredakteur der AZ, Timo Lokoschat, über die neuerlichen Entgleisungen des türkischen Ministerpräsidenten.
von  Timo Lokoschat

Die erfreulichsten Reaktionen auf Erdogans verbale Amokläufe finden sich auf Facebook (das er bekanntlich gerne abschalten würde): Dort sind es vor allem junge Deutschtürken, die sich öffentlich über „ihr“ Staatsoberhaupt lustig machen. Seine kühne Behauptung, nicht Kolumbus habe Amerika entdeckt, sondern in Wirklichkeit ein Muslim, quittieren sie mit dem Wortspiel „Kölümbüs“ und der Bemerkung, dass dieser auf dem Weg dorthin sicher Erdogan getroffen habe – wie der Messias übers Wasser laufend.

Mit Humor gegen den Mann, dessen politische Agenda eher zum Weinen ist: Die vielbeschworene Brücke zwischen Orient und Okzident, die die Türkei (auch ohne EU-Beitritt) bilden könnte, hat der Politiker nicht erst mit seiner bizarren Brandrede gegen den Westen gesprengt. Erdogan entfernt sich rasant von der EU, spaltet mit seinen Hetzreden gegen Minderheiten, Frauen und Andersdenkende das eigene Volk.

Normalerweise sind solche Entgleisungen ein gefundenes Fressen für jede Opposition: In der Türkei ist jedoch kein Gegner in Sicht, der die Unzufriedenheit politisch kanalisieren könnte. Im Juni 2015 sind Parlamentswahlen. Präsident bleibt Erdogan bis 2019. Kein Witz.

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