Erdbeben in Italien: Mehr als 90 Tote
L'Aquila - Das schwere Erdbeben in Italien hat ein Bild der Verwüstung hinterlassen. Mehr als 90 Menschen wurden getötet und etwa 1.500 verletzt, rund 100.000 sind obdachlos. Mit bloßen Händen graben die Helfer nach Verschütteten. Silvio Berlusconi rief den Notstand aus.
Mehrstöckige Palazzi stürzen wie Kartenhäuser ein. Kirchtürme knicken um. Im Straßenbelag tun sich tiefe Risse auf. Das verheerende Erdbeben sucht die mittelitalienische Region Abruzzen nachts heim. Dutzende Menschen sterben in den Trümmern. Hunderttausende werden Punkt 3.32 Uhr aus dem Schlaf gerissen, Zehntausende werden obdachlos. Als der Morgen graut, irren noch viele im Schlafanzug, bestenfalls mit einer Decke durch die Trümmerberge von L'Aquila. Aus Angst vor Nachbeben suchen sie einen offenen Platz. Im Schutt der Häuser wissen Feuerwehrleute nicht, wo sie im Wettlauf gegen die Zeit nun zuerst nach den Opfern graben sollen. Verzweifelt nehmen manche ihre bloßen Hände, denn sonst haben sie nichts, um zu Verschütteten vorzudringen. Und die Zahl der Toten steigt und steigt.
„Ich habe nicht in meiner Wohnung geschlafen, und das hat mich gerettet“, erzählt der Student Valerio. Entgeistert steht er vor dem Haus, in dem er zusammen mit fünf Kommilitonen gelebt hat. Ein Bagger ist dabei, die bizarren Trümmer wegzuräumen, damit nach Überlebenden gegraben werden kann. Ein paar Häuser entfernt bringen Helfer Überlebende auf Tragen aus den Schuttmassen. Doch auch in den Krankenhäusern herrscht Chaos. Privatautos und Rettungswagen stauen sich vor den Eingängen der Notaufnahmen. Und dann fällt dort das Trinkwasser auch noch aus. Zeitweise kann nur noch ein Operationssaal im Hospital von L'Aquila arbeiten, Schwerverletzte müssen per Helikopter ausgeflogen werden.
Dem nächtlichen Beben folgt das Grauen
Nach dem folgenschwersten Erdbeben in Italien seit knapp drei Jahrzehnten wird das Ausmaß der Katastrophe von Stunde zu Stunde deutlicher. Immer mehr Tote, immer mehr zerstörte Häuser und immer mehr verzweifelte, obdachlose Menschen. Leichen liegen herum, die eben erst aus den Trümmern ihrer Häuser gezogen wurden. Es herrscht trotz des eigentlich doch schönen Frühlingstages eine gespenstische Atmosphäre. Nachbeben erschüttern die Stadt 100 Kilometer nordöstlich von Rom und lassen noch mehr Trümmerteile von den zerstörten Häusern herabfallen. Bilder des Grauens wie sonst nur in Kriegszeiten. „Hört mich jemand?“ So ruft eine verzweifelte Stimme aus einem Schuttberg.
Der Bürgermeister von L'Aquila, Massimo Cialente, will noch mehr Leid vermeiden: „Ich rufe alle Bürger auf, das historische Zentrum zu verlassen.“ Denn auch wenn ein Haus nicht eingestürzt ist, so kann es doch stark beschädigt sein – oder das nächste Nachbeben legt es flach. Auf dem Fußballplatz oder in den Parks sollen sich die Menschen jetzt versammeln, während die Hilfsorganisationen aus allen Richtungen ins Katastrophengebiet eilen, mit Notbetten, Decken, Blutkonserven sowie Essen. Der vom Regierungschef Silvio Berlusconi ausgerufene Notstand wird noch lange dauern, Normalität nicht über Nacht herstellbar sein.
„Wir sind praktisch aus dem Bett gefallen und haben wirklich Angst gehabt um unser Leben“, berichtet Ursula Aichholzer, Österreicherin, die als Übersetzerin für L'Aquilas deutsche Partnerstadt Rottweil arbeitet. Sie wohnt am Rand der Stadt, in der es vielerorts aussieht wie dem Erdboden gleichgemacht. Und Aichholzer hat Glück gehabt: „Mein Haus steht, hat keine Risse, keine Sprünge.“ Sie will den Opfern helfen.
Verantwortung und Schuldzuweisungen
Verantwortung und Schuldzuweisungen, wie es sie oft nach solchen Katastrophen gibt: „Die Retter waren schon eine Viertelstunde nach dem Beben auf dem Weg“, sagt Innenminister Roberto Maroni und will Kritik abwehren. Der Zivilschutz verweist auf die Fachleute, die erklären, der Zeitpunkt eines solchen Bebens sei nicht vorhersehbar. Und der Chef des nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie, Enzo Boschi, sieht sein Land als nicht lernfähig an: „Es ist nicht Teil unserer Kultur, so zu bauen, dass es auch der Erdbebengefahr gerecht wird.“ Wenn sich daran nichts ändert, könnten weitere Beben ähnlich katastrophale Folgen haben.
Autobahnen in Italien nach Erdbeben gesperrt
Nach dem schweren Erdbeben warnt der ADAC vor Verkehrsbehinderungen auf beschädigten Straßen. Die Autobahn A24 Rom – L'Aquila sei in beiden Richtungen gesperrt, die A25 Rom - Pescara zwischen Pratola und Bussi-Popoli in Richtung Pescara, erklärte der Automobilclub am Montag in München. Auf beiden Autobahnen gelte ein Verbot für Lastwagen über 7,5 Tonnen, ausgenommen Hilfstransporte. In der ganzen Region komme es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen.
Die wichtigsten Bahnverbindungen funktionierten, erklärte der ADAC. Im regionalen Zugverkehr sei dies aber nicht garantiert. Der Automobilclub rät Urlaubern, das Katastrophengebiet vorerst zu meiden.
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