Er geht, seine Probleme bleiben
BERLIN - Jung war nicht mehr zu halten, weil er in der Tanklaster-Affäre versagt hat. Sein Nachfolger Guttenberg ist entsetzt: Das Ministerium hat insgesamt neun Berichte unterschlagen
Seine Rücktrittserklärung am Freitag dauert nicht mal zwei Minuten. Franz Josef Jung sagt, er habe „heute morgen die Bundeskanzlerin davon unterrichtet, dass ich mein Amt des Bundesministers für Arbeit und Soziales zur Verfügung stelle“.
Der Ex-Verteidigungsminister übernimmt die Verantwortung für den Afghanistan-Luftschlag. Die Verantwortung dafür, dass sein Ministerium die Öffentlichkeit darüber getäuscht hat, dass bei dem Angriff am 4. September nicht nur Taliban-Kämpfer, sondern auch Zivilisten getötet wurden. Durch seinen Schritt wolle er bewirken, dass die Regierung „ihre erfolgreiche Arbeit uneingeschränkt fortsetzen kann“.
Von seinen Fehlern spricht Jung nicht. „Ich habe sowohl die Öffentlichkeit als auch das Parlament über meinen Kenntnisstand korrekt unterrichtet“, sagt er trotzig. Erst beim Weggehen fallen seine hängenden Schultern auf und der eingezogene Kopf. Hier geht ein Einsamer.
Zwei Tage hat er gebraucht, um es einzusehen
Zwei quälende Tage hat es gedauert, bis Jung einsah, dass er keine Chance hat. Zwei Tage, in denen sich Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel diskret vor einer unpopulären Entscheidung drückte. Sie ließ Jung im Bundestag auftreten, sich verteidigen. Und am Ende ließ sie ihn dann doch fallen, als sie sah, dass Jung zum Problem wird. Da war es schon zu spät.
Das Ergebnis: Der deutsche Afghanistan-Einsatz hat mehr denn je ein Legitimationsproblem. Die neue Bundesregierung hat einen grandiosen Fehlstart hingelegt. Jung war gerade mal lächerliche 30 Tage Arbeitsminister – Merkel sucht händeringend Ersatz (siehe unten). Und Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg muss einen Einsatz aufklären, den er als „militärisch angemessen“ bezeichnet hat.
Am 4. September hatte der deutsche Oberst Georg Klein in Afghanistan die Hilfe der US-Luftwaffe angefordert. Zwei Tanklastwagen waren entführt worden – Klein ordnete die Bombardierung an. Nach Nato-Angaben starben bei dem Angriff bis zu 142 Menschen. Jung hatte tagelang behauptet, dass „ausschließlich terroristische Taliban“ getötet worden seien.
Bericht weitergegeben, aber nicht gelesen?
Am vergangenen Donnerstag hatte die „Bild“-Zeitung aus einem Bericht der Militärpolizei zitiert, der dem Verteidigungsministerium direkt nach dem Angriff zugegangen war: Demnach hatte Jungs Ministerium sehr wohl Kenntnis davon, dass es zivile Opfer, darunter Kinder, gegeben hatte.
Am Donnerstag hatte sich Jung im Bundestag so verteidigt: Er wusste zwar, dass es einen Bericht gab. Aber er leitete ihn einfach an die Nato weiter, ohne ihn zu lesen – geschweige denn ihn der in dem Fall ermittelnden Staatsanwaltschaft zu geben.
Peinlicher geht es nicht? Doch! Am Freitag stellte sich Jungs Nachfolger Guttenberg vor den Verteidigungsausschuss des Bundestags. Tags zuvor hatte er sowohl Deutschlands ranghöchsten Soldaten, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, wie auch seinen Staatssekretär Peter Wichert entlassen, weil er kein Vertrauen mehr zu ihnen hatte. Jetzt verkündete Guttenberg dem Ausschuss Ungeheuerliches: Insgesamt seien neun Berichte und Einschätzungen zum Luftangriff unterschlagen worden. Das Ausmaß der Affäre ist also noch größer als ursprünglich angenommen.
Neun Berichte unterschlagen
Guttenberg will jetzt auch seine Einschätzung, nach der der Einsatz „militärisch angemessen“ war, überdenken. Um das Vertrauen des Parlaments in den Einsatz wiederherzustellen, will er Geheimakten veröffentlichen: „Alles, was mir vorliegt, werde ich dem Parlament zugänglich machen“, sagt Guttenberg.
Die Opposition fordert trotz des Rücktritts einen Untersuchungsausschuss. Nächste Woche soll darüber abgestimmt werden. Für einen Ausschuss ist ein Viertel der Stimmen des Parlaments nötig.