Entscheidung zum Genesenenstatus: Liberale lassen Wieler fallen

Die Ampel-Koalition streitet über die Zukunft von Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) - und bislang einer der obersten Pandemie-Bekämpfer der Republik.
Doch sein Alleingang bei der Verkürzung des Genesenenstatus spaltet die Regierungs-Parteien: Während Sozialdemokraten und Grüne zu Wieler halten, entziehen die Liberalen dem 60-Jährigen das Vertrauen. Harsche Kritik kommt auch von Top-Virologe Hendrik Streeck.
Auf das Vertrauen der FDP kann Lothar Wieler nicht mehr zählen
Einer der Ersten, die Wieler öffentlich anzählten, war der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. "Ich habe großen Respekt vor den Leistungen des RKI-Chefs Lothar Wieler in den vergangenen zwei Jahren während der Pandemie", sagte er dem "Spiegel", fügte jedoch hinzu: "Des Vertrauens der FDP kann sich Herr Wieler aber aufgrund dieser neuerlichen Verfehlung, die ja leider keinen Einzelfall darstellt, nicht mehr sicher sein."
Eine folgenschwere Entscheidung über Nacht
Hintergrund: Mit Wirkung vom 15. Januar hatte das RKI den Genesenenstatus überraschend von sechs auf drei Monate verkürzt. Kritisiert wird seitdem, dass diese Änderung durch das RKI vorher nicht angekündigt wurde. Viele Bürger verloren quasi über Nacht ihr Recht, in Restaurants, Bars oder Fitnessstudios zu gehen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr hatte daraufhin gefordert, dass künftig das Parlament wieder über den Genesenenstatus entscheiden soll.
"Das RKI kann nicht quasi nebenbei mit einem Federstrich und ohne jegliche Ankündigung die Verkürzung der Genesenenfrist festlegen. Diese Entscheidung hat eine unmittelbare Auswirkung auf das tägliche Leben vieler Menschen. Optimale Kommunikation geht anders", kritisierte Djir-Sarai.
Auf die konkrete Frage nach Wielers Zukunft an der Spitze des RKI sagte der FDP-Politiker: "Es ist Sache des Bundesgesundheitsministers über die personelle Aufstellung an der Spitze seiner Unterbehörden zu entscheiden."
Ist der verkürzte Genesenenstatus sogar verfassungswidrig?
Das Ganze hat mittlerweile zudem eine juristische Dimension: Am Freitag befand das Verwaltungsgericht Osnabrück die Verkürzung des Genesenenstatus - in einer Einzelfallentscheidung - für verfassungswidrig. Ein Teil der Begründung: Das RKI habe nicht genügend wissenschaftlich aufgearbeitet, ob belegt sei, dass nach 90 Tagen der Schutz Genesener vor einer Infektion ende.
Für Kopfschütteln sorgt die RKI-Entscheidung auch bei Hendrik Streeck, Direktor des Institutes für Virologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn und Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung. Die Verkürzung des Genesenenstatus habe ihn " milde ausgedrückt, geärgert", sagte Streeck dem "Focus".
Studien dazu sind dem Virologen nicht bekannt
Zur Begründung werde auf die Wissenschaft verwiesen. "Mir ist aber keine Studie bekannt, die diese Entscheidung begründen kann. Im Gegenteil: Nach allen Studien zu diesem Thema, die mir bekannt sind, weisen Genesene einen gleich guten oder zum Teil besseren Schutz auf als Geimpfte", so der Virologe. "Der Schutz vor allem vor einem schweren Verlauf ist bei Genesenen wirklich sehr gut. Die bisherige Eile, sich danach schnell auch noch boostern zu lassen, ist daher nicht geboten."
Rückendeckung erhält Wieler von den Grünen. So twitterte etwa Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: "Lothar Wieler hat in der Pandemie unfassbar viel geleistet. Seine Expertise, die Fachlichkeit, die Standhaftigkeit bei Angriffen von Wissenschaftsfeinden verdient Respekt."
Vom Koalitionspartner hagelt es für die Liberalen Kritik
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen schrieb im Internet ebenfalls, der RKI-Chef verdiene Respekt sowie Dank für seinen "unermüdlichen und professionellen" Einsatz in der Pandemie. "Seine Expertise ist von unschätzbarem Wert. Ohne ihn stünden wir heute viel schlechter da."
An die FDP gerichtet twitterte er: "Wer verantwortlich ein Land regieren möchte, sollte verantwortlich mit der eigenen Exekutive umgehen. Menschen öffentlich ,anzuzählen' ist nicht nur unverantwortlich, sondern so geht man einfach nicht miteinander um!"
Karl Lauterbach sagt nichts, Olaf Scholz nur wenig
Was sagen Karl Lauterbach, dessen Gesundheitsministerium das RKI beigeordnet ist, und Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD)? Während von Lauterbach bis Redaktionsschluss dieser Aufgabe nichts zur Causa Wieler an die Öffentlichkeit drang, sprang Scholz dem Gescholtenen zumindest indirekt bei: Laut "Spiegel" antwortete eine Regierungssprecherin auf die Frage, ob Wieler noch das Vertrauen des Kanzlers genieße, mit einem "Ja".